Was ist Leben?

Was ist Leben?
Paul Nurse, 2024-08

Paul Nurse, Träger des Nobelpreises 2001 für Medizin, beantwortet die Frage «Was ist Leben?» aus der Sicht der Biologie. Er sieht 5 elementare Bausteine für alles, was Leben ist: die Zelle (mit den Untertiteln: «das Atom der Biologie»), die Gene («auf dem Prüfstand der Zeit»), die Evolution durch natürliche Selektion («Zufall und Notwendigkeit»), Leben als Chemie («Ordnung aus dem Chaos»), sowie Leben als Information («als ein Ganzes funktionieren»). Er schreibt locker, fast wie in einer Plauderei unter Freunden, und vor allem und bei aller Wissenschaftlichkeit sehr, sehr verständlich.

Jedem dieser Bausteine widmet er ein Kapitel, in dem auch die Geschichte von Entdeckung und Ergründung dieser Bausteine sowie die wesentlichen Innovatoren zur Sprache kommen.

In einem anschliessenden, die Bausteine integral zusammenfassenden Kapitel «Die Welt verändern» blickt er in die Zukunft; er würdigt die für die Pflege und den Erhalt unseres Planeten eminent wichtige Rolle der Gentechnik. Allerdings sieht er auch die Gefahren, welche die zunehmend verbreitete Wissenschaftsfeindlichkeit für unsere gesamte Biosphäre darstellt (Beispiele Klimawandel und dessen , oder die ideologisch grundierte Ablehnung von Gen- und Nukleartechnik). Seine Hauptbotschaft steckt in den letzten Sätzen dieses Kapitels: (Seite 162) «Der Wert der Wissenschaft steht nicht zur Debatte. Die Welt braucht die Wissenschaft und die Fortschritte, die sie ermöglichen kann. Als sich selbst reflektierende, erfindungsreiche und wissbegierige Wesen haben wir Menschen die einzigartige Möglichkeit, mit Hilfe unseres Wissens über das Leben die Welt zu verändern. Es ist an uns, alles zu tun, was in unserer Macht steht, um das Leben zu verbessern. Nicht nur für unsere Familien und unser unmittelbares Umfeld, sondern auch für die kommenden Generationen und für die Ökosysteme, denen wir untrennbar angehören. Die Welt um uns her versetzt uns nicht nur in unendliches Staunen, sie ist auch die Grundlage unserer Existenz.»

Im abschliessenden Kapitel «Was ist Leben?» bildet Paul Nurse seine Synthese. Dabei baut er auch auf dem – ebenfalls – nobelpreisgekrönten Genetiker Hermann Muller auf, der Charles Darwins Entdeckung der Evolution durch natürliche Selektion als zentral für das Nachdenken über das Leben allgemein sah, als Grundlage seiner eigenen Definition oder Umschreibung von Leben: Ein Lebewesen «sei einfach etwas, das die Fähigkeit besitze zu evolvieren, das heisst, sich von Generation zu Generation weiterzuentwickeln. Er würdigte die Darwin’sche Evolution als einen Mechanismus – tatsächlich der einzige uns bekannte «Mechanismus –, der verschiedene, organisierte, zweckmässige, lebende Gebilde hervorbringen kann, ohne dafür einen übernatürlichen Schöpfer bemühen zu müssen.» (Seite 164)

Nurse selbst sieht für seine eigene Definition von Leben folgende drei Prinzipien als elementar (Seiten 164ff):

  1. die Fähigkeit, mittels natürlicher Selektion zu evolvieren
  2. Lebensformen sind abgeschlossene, physische Gebilde. Sie sind von ihrer Umgebung abgegrenzt, kommunizieren aber mit ihr.
  3. Lebewesen sind chemische, physikalische und informationsverarbeitende Maschinen. Sie stellen ihren eigenen Stoffwechsel her, mit dessen Hilfe sie sich am Leben erhalten, wachsen und reproduzieren.

Für Nurse konstituieren diese drei Prinzipien die Definition des Lebens; jede Einheit, die alle drei befolgt, kann als lebendig gelten.

Sein Schlusssatz (Seite 182) macht deutlich, was dieses Wissen für Nurse bedeutet, und er dient sehr wohl als Appell an uns alle, mit diesem Wissen, d.h. diesem Leben ehrfürchtig, rücksichtsvoll und generationenübergreifend zu begegnen. Er lautet: «Soweit wir wissen, sind wir Menschen die einzige Lebensform, die diese tiefe Konnektivität erkennen und darüber nachdenken kann, was das zu bedeuten hat. Damit wird uns eine besondere Verantwortung für das Leben auf diesem Planeten übertragen, umfasst es doch – so wie die Dinge stehen – unsere gesamte, teils nähere, teils fernere Verwandtschaft. Wir müssen uns um das Leben kümmern, wir müssen für es sorgen. Und dazu müssen wir es verstehen».

Einen Gedanken vermisse ich bei den Überlegungen von Paul Nurse; Darwin selbst macht es meines Wissens implizit, d.h. er geht selbst nicht direkt darauf ein. Aber seine Beobachtungen zeigen, dass Arten, aus was für Gründen auch immer, entstehen; die meisten bestehen den Test des ,survival of the fittest’ nicht und gehen unter; wenige gedeihen, blühen auf, erleben den prototypischen Lebenszyklus des Werdens, Seins und Vergehens, also einen Höhepunkt, aber früher oder später auch einen Niedergang und verschwinden wieder; wohl, weil sie von neuen Arten, die die Herausforderungen des ,survival of the fittest’ besser bestehen, abgelöst werden; zum Lebenszyklus gehört also auch das Vergehen. Und, was ich vermisse, ist der Gedanke, inwiefern, ob und wie aktuell dies auch für die Spezies Homo Sapiens gilt. Anders gesagt: was spricht dafür, dass der Homo Sapiens die erste Spezies sein soll oder kann, die das Prinzip des Werdens, Seins und Vergehens überwinden, also gewissermassen ewig leben kann. Mindestens erwarte ich, dass Wissenschafter vom Kaliber Paul Nurse dazu Gedanken machten müssten, ob und was die Spezies Homo Sapiens ermöglichen könnte, die Phase des Vergehens zu vermeiden, und was an deren Stelle treten könnte.

Trotzdem, ich habe das Buch genossen und begegne dank diesem Buch dem Leben mit grösserem Respekt als davor.

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