The Great Gatsby

The Great Gatsby
F. Scott Fitzgerald, 2013-06

Von der aktuellen Neuverfilmung animiert lese ich endlich den grossen Roman von Fitzgerald. Es ist eine schön geschriebene, anregende und interessante Geschichte über eine sehr kleine und elitäre Gesellschaftsschicht aus dem New York der 1920-er Jahre. Für mich bleibt aber ein Rätsel, warum der Roman so sehr geschätzt und als Meisterwerk Fitzgeralds eingestuft wird. Es muss eine schöne Portion ‚Voyeurismus’ und Neid mit im Spiel sein – fast so wie die Boulevard-Presse kaum existieren könnte, wenn sie aus dem Leben und Treiben der ‚high society’ nicht ständig Skandale herbeireden oder mit allen grässlichen Details darüber berichten könnte.

Der Plot ist gut angelegt, indem Nick Caraway, ein frischer Zuzüger auf Long Island und zufälliger Nachbar von Jay Gatsby, ohne zu Gatsbys Dunstkreis zu gehören, quasi als aussenstehender Zaungast, über Gatsby und dessen Schicksal berichtet. Fitzgerald, den man sich wohl hinter Garaway vorstellen darf, nimmt damit eine distanzierte Aussensicht ein und umgeht die Schwierigkeit, zu Gatsby und dessen Umfeld entweder als expliziter Gesellschaftskritiker oder als kritikloser Bewunderer Stellung nehmen zu müssen. Diese Konstellation ermöglicht ihm auch, vieles im Dunkeln oder Vagen zu lassen (z.B. Wer ist Gatsby wirklich? Was tut er? Woher hat er soviel Geld?) und die Fantasie von Leserinnen und Lesern zu beflügeln.

Einen Gatsby ‚tel quel’ kann man sich heute kaum mehr vorstellen. Louis Begley scheint mit seinem «About Smith» (und der ganzen Trilogie) einen guten Weg gefunden zu haben, Gatsby ‚weiterzudenken’; mir jedenfalls kommt die Trilogie wie eine moderne und gelungene Transkription des Gatsby-Motivs vor. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die äusseren Ähnlichkeiten oder Übereinstimmungen (Schauplatz Long Island, Gesellschaftsschicht, Rolle von Sex und Alkohol, Verkehrsunfall) rein zufällig sind.Für mich ergibt Gatsby im Zusammenhang mit der Smith-Trilogie einen Sinn, nämlich den, dass Gatsby, im Unterschied zu Smith, daran scheitert oder scheitern muss, dass er seinem Leben keinen Sinn zu verleihen versucht, sondern ausschliesslich seinem Hedonismus frönt. Im Gegensatz dazu gelingt es seinem ‚alter ego’ Smith, fast 100 Jahre später, eine Synthese aus einem bis zum Exzess genussvollen Leben, das allerdings auch von Schicksalsschlägen und schweren Prüfungen geprägt ist, und einem zielstrebigen, eigenverantwortlichen und abwechslungsreichen (Arbeits-)Leben herzustellen. Ausserdem kontrastiert Smiths bewusstes Suchen nach Generativität wohltuend mit dem unreflektierten Leben und inhaltsleeren Genussstreben Gatsbys.