The Camp of the Saints

The Camp of the Saints
Jean Raspail, 2015-13

Der Roman – eine Art ‚social fiction‘ – ist 1973 im französischsprachigen Original «Le camp des saints» erschienen. Die vorliegende Besprechung basiert auf der englischsprachigen Taschenbuchausgabe 1977 von Sphere Books Ltd, mit dem ‚Aufhänger‘: The apocalyptic, controversial bestselling novel about the end of the white world.

Das Buch bringt tatsächlich, was der Aufhänger ankündigt. Seine Substanz ist – verkürzt – sehr einfach:

Die reiche abendländische Welt stellt etwa einen Siebtel der Weltbevölkerung; der Rest der Welt, die sogenannte Dritte Welt, ist total verarmt, stellt aber sechs Siebtel der Weltbevölkerung. Da kann etwas nicht stimmen – das muss man doch wohl einsehen.

In Kalkutta bricht eine Armada von 100 gekaperten Schiffen mit einer Million armer Inder auf, um anderswo das Paradies zu finden. Die öffentliche Meinung der potentiellen Zielländer – hauptsächlich Frankreich – wird von politisch korrekten Gutmenschen geprägt. Die betonen erstens ständig, dass der Westen mit seiner Kolonialgeschichte, der Globalisierung und der aktuellen Handelspolitik (Grundtenor: Ausbeutung der Dritten Welt) verantwortlich für die Armut in aller Welt ist und jetzt eine wunderbar menschliche Gelegenheit bekommt, alles wieder gut zu machen. Also wird zweitens gefordert, diese Flüchtlinge menschlich aufzunehmen und willkommen zu heissen.

Parallel dazu wird in den Regierungszentren der Hauptstädte der abendländischen Welt darüber gerätselt, wie man die Flüchtlinge daran hindern könnte, das eigene Land zu erreichen, ohne unmenschlich dazustehen; es wird um die Balance zwischen Menschlichkeit und Schutz der bestehenden Ordnungen gerungen.

Jeder öffentlich geäusserte kritische Gedanken, wie denn die Aufnahme einer so grossen Zahl von Flüchtlingen praktisch zu bewältigen wäre, wird vom Gutmenschen-Mainstream verteufelt.

Auf der Reise der indischen Armada, die unerbittlich um Afrika herum in den Atlantik und der afrikanischen Westküste entlang nach Norden fährt, wird von den Flüchtlingsschiffen jede Hilfsintervention westlicher Staaten oder Hilfsorganisationen abgewiesen oder verweigert.

Parallel zur Reise der Armada baut sich überall auf der Welt, wo eine starke Bevölkerungsminderheit aus der Dritten Welt stammt und in der Regel unter miserablen Wohn- und Arbeitsbedingungen in prekären Parallelgesellschaften lebt, spontan und ohne öffentlichkeitswirksam zu werden, ein zunehmend starker Druck auf, der mit dem vereinfachenden Motto «Jetzt sind wir dran, uns unseren Teil des Kuchens zu holen!» beschrieben werden kann.

An den Grenzen zwischen westlicher und Dritter Welt, z.B. an der Grenze zwischen dem sibirischen Russland und China (wir sind im Jahr 1973!!!), bildet sich eine zunehmend starke Masse von verarmten und total unterdrückten Unterschichtchinesen (mehrere Millionen), die nur auf ein Signal wartet, in Russland einzudringen und sich dort zu holen, was ihnen gehört.

An Ostern kommt die Kalkutta-Armada vor der Côte d’Azur – irgendwo zwischen Cannes und St. Tropez – an; die Schiffe fahren einfach auf die Strände auf oder an die felsige Küste –, wo sie aber zunächst ruhig liegen bleiben. Es passiert nichts, ausser dass die zahlreichen, auf der Reise Verstorbenen über Bord ins Wasser geworfen werden. In der Zwischenzeit sind praktisch alle Bewohner der Côte nach Norden geflohen; die Küste ist menschenleer, bis auf kümmerliche Reste von französischen Truppen, die von der Regierung den Auftrag haben, für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und natürlich für den Schutz von französischem Eigentum zu sorgen. Der grösste Teil der Truppen ist auf dem Weg in den Süden desertiert, weil wegen der monatelangen Kampagne für die Flüchtlingen kaum einer mehr bereit ist, gegen sie zu kämpfen. Die Truppen begrenzen sich darauf, die an Land geschwemmten Leichen an den Stränden auf riesigen Scheiterhaufen (passend für Tote aus Indien, nicht wahr?) zu verbrennen. Sie sind den Horden von Banditen, die unter dem Feigenblatt der Menschlichkeit und grossem Beifall aller Gutmenschen in den Süden gezogen sind, letztlich aber nur plündern und rauben wollen, hoffnungslos unterlegen. Der letzte Rest zieht sich in ein typisches, auf einem Hügel gelegenen provençalisches Dorf zurück, von wo aus sie wenigstens einen guten Überblick über die Ereignisse haben, die nun folgen werden.

Am Ostermontag beginnen die Flüchtlinge, an Land zu gehen, um sich ‚ihr Stück am Kuchen des reichen Abendlandes‘ zu nehmen. Gleichzeitig erheben sich in allen grossen Städten des Westens die bisher stummen Drittweltbewohner. Die chinesischen Millionen überqueren den Grenzfluss und dringen von Osten her ins Abendland ein. Die bisherige Ordnung bricht zusammen. Der Untergang (die Apokalypse) des Abendlands beginnt.

Das wär’s! Allerdings schildert Raspail diese Geschichte mit geradezu lustvoller Versessenheit auf gruselige und abstossende Details. Er beschreibt die Zustände in Indien und auf den Armada-Dampfern so, dass es einem übel werden kann. Tatsächlich geht er da so weit, dass das Buch über längere Passagen sogar abstossend bis langweilig wird. Besonders viel Platz räumt er – auf der europäischen Seite – den Gutmenschen und intellektuellen Beherrschern des Mainstreams ein, die sehr einseitig für die Dritte Welt Position beziehen und den Untergang des Abendlandes geradezu herbeisehnen. Das mag übertrieben sein, hat aber verdammt viel Ähnlichkeit mit dem aktuellen (2015) öffentlichen Diskurs über die gegenwärtige Flüchtlingskrise (Syrien, Irak, Afghanistan, Pakistan, etc.). Überhaupt: manchmal grenzt Raspails Geschichte sehr nahe an Hellseherei; es ist unglaublich, dass und wie treffend ein Autor bereits 1973 heutige politische Konstellationen und heutiges Mainstream-Denken bezüglich des Verhältnisses zwischen Abendland und Dritter Welt vorwegnehmen konnte.

Allein dies rechtfertigt die streckenweise durchaus mühsame und ekelerregende, zeitweise geradezu Masochismus voraussetzende Auseinandersetzung mit diesem anstössigen Roman.

Epilog – Ein Auszug des Werbetexts auf dem Buchdeckel sagt:

What will happen when the teeming billions of the so-called Third World – driven by unbearable hunger and despair, the inevitable consequences of insensate overpopulation – descend locust-like on the lush lands of the complacent white nations?

Jean Raspail has the rare imagination and courage necessary to face this terrifying question head-on. Readers of what-ever colour and political persuasion will find in «The Camp of the Saints» (…) a hypnotically readable novel of compelling power that will disturb, provoke and horrify them by turns. And so powerful is its impact that once you have read it you will need brain surgery to forget it…

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