‚Neo’ ist ein Türstopper für das rationale Denken.
Mit dem Präfix ‚Neo‘ werden an sich klare Begriffe vernebelt (mein englischer Lieblingsausdruck dafür ist ‚obfuscated‘) und ins Negative gezogen, abgewertet. Für den dummen oder vorurteilsbeladenen Durchschnittsleser bedeutet ‚Neo‘, dass man nicht mehr denken muss, dass man auf klare Begriffsdefinitionen verzichten kann, und dass man dann sofort weiss: Aha – das ist des Teufels, wie bei Begriffen wie ,neolibaral’, ‚Turbokapitalismus‘, ‚Euroturbo‘.
Interessanterweise liefert der Duden eine Definition von Neomarxismus, aber keine für Neoliberalismus. Beim Neomarxismus heisst es: «Gesamtheit der wissenschaftlichen und literarischen Versuche, die marxistische Theorie angesichts der veränderten wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten neu zu überdenken.»
Sinngemäss auf den LIberalismus übertragen, müsste also Neoliberalismus die Versuche umfassen, die liberale Theorie angesichts der veränderten wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten neu zu überdenken»; beide Begriffe würden dann eine wissenschaftliche Auseinandersetzung bezeichnen. In der Wirklichkeit wird mit dem Begriff ‚Neoliberalismus‘ jedoch eine bestimmte, allerdings nicht genau definierte politische Haltung, eine übersteigerte Form des Liberalismus gemeint, und verteufelt.
Im politisch-populistischen Sprachgebrauch impliziert das Präfix ‚Neo’ also, dass die Vertreter der Geisteshaltung, die mit dem Begriff, dem es vorangestellt wird, gemeint sind, diese Geisteshaltung ins Extreme treiben und gewissermassen ayatollistisch fanatisieren.