
(siehe auch Abdel-Samad, Hamed: Der Untergang der islamischen Welt – Besprechung 2013-12)
In seinem neusten Buch beschreibt Abdel-Samad die Biografie Mohameds, die Entstehung des Korans, der Hadithen, die für viele zu den mit der Biografie Mohameds und dem Koran gleichberechtigt konstituierenden ‚heiligen‘ Grundlagen des Islams gehören, sowie die Gründung der Religion ‚Islam‘.
Für den Islam-Laien überraschend sind die vielen Querbezüge zwischen Islam, frühem Christentum und Judentum. Es ist erstaunlich (jedenfalls für mich), wie viele der Offenbarungen, die Mohamed vom Erzengel Gabriel bekommen haben soll, den anderen monotheistischen Religionen abgekupfert sind.
Abdel-Samad macht deutlich, dass die Geschichte der Islam-Grundlagen bezüglich Fakten sehr lückenhaft ist. Das äussert sich nicht nur darin, dass es von Mohamed selbst keine eigenen schriftlichen Hinterlassenschaften gibt (gemäss vielen Zeitzeugen war er Analphabet), sondern auch darin, dass in den nach Mohameds Lebenszeit entstandenen Schriften selbst auch viele Lücken und teilweise Widersprüche bestehen, und dass sehr Vieles davon auf Hören-Sagen beruht und auch in den Schriften selbst mit «man sagt», oder «es wird berichtet» qualifiziert wird.
Offensichtlich ist auch für Islamforscher unklar, ob alle konstitutiven Grundlagen des Islams wirklich von Mohamed selbst stammen oder von Mohameds Nachfolger-Stämmen zur Legitimierung der eigenen Herrschaft erfunden, ausgeschmückt oder angepasst wurden.
Bei mir als Laien entsteht bei der Lektüre der Eindruck, dass die Geschichte Mohameds nicht mehr Faktisches enthält als die Tell-Saga.
Umso mehr erstaunt es, dass auch gemäss heutiger offizieller Islam-Doktrin der Koran, die Hadithen und die ersten Mohamed-Biografien zusammen absolut gültige Offenbarungen Gottes (Allahs), entsprechend heilig, uninterpretierbar und unveränderbar sein und in alle Ewigkeit so gelten sollen. Dies ist noch wunderlicher, weil im Koran selbst, in Hadithen und Biografie und zwischen diesen Dokumenten zahllose Widersprüche angelegt sind.
So erstaunt es natürlich nicht, dass die Extreme des Islam, auf der einen Seite der IS, und auf der anderen Seite sogenannte Reformer, sich alle auf diese Schriften berufen können und wollen – jeder sucht sich das aus, was ihm gerade in den Kram passt.
Der rote Faden von Abdel-Samads Biografie besteht im Nachweis, dass die Gewalt und die Gewalttätigkeit ‚im Namen Allahs‘ in den konstitutiven Grundlagen des Islams angelegt ist. Er belegt dies mit zahllosen Zitaten aus den Originaltexten sowie mit Erläuterungen von offiziellen Islam-Exegeten.
Das wirkliche Problem sieht er allerdings nicht in der richtigen Interpretation dieser heiligen Texte, sondern in ihrem fraglichen Stellenwert und ihrer verlorenen Relevanz. Dies belegen folgende zwei Passagen aus Abdel-Samads Buch:
(Seiten 183/184) «… Allein das disqualifiziert den Koran gänzlich als moralische Orientierungshilfe für Menschen im 21. Jahrhundert. Wer aber im Namen der Friedfertigkeit des Islam auf diesem Anspruch beharrt, unterstützt die Radikalen indirekt. Nicht eine zeitgemässe Interpretation des Koran kann die Lösung sein, sondern eine Emanzipation von der Übermacht seines Textes. Ein Herunterbrechen auf das, was er damals war. Solange der Koran aber als direkte Niederschrift des Wortes Gottes gilt, ist dies unmöglich. Wie sollte es der schwache, in seinen Möglichkeiten begrenzte Mensch wagen können, das Wort des unfehlbaren, allumfassenden Gottes zu deuten? Eine historisch-kritische Exegese kann nur erfolgen, wenn der Koran als menschliches Produkt begriffen wird, als Text, der nur die Menschen und ihre Probleme im 7. Jahrhundert vor Augen hatte.»
(Seiten 218/219) «Das, woran die islamische Welt krankt, kann nur geheilt werden, wenn Muslime sich von den multiplen Krankheiten des Propheten lösen: Fatalismus, Zwangsstörung, Selbstüberschätzung, Paranoia, Kritikunfähigkeit sowie die Neigung zum Beleidigtsein. Auch das verzerrte Bild Gottes, das Vorbild für Despoten geworden ist, muss in Frage gestellt werden. Eine Reform, die es nicht wagt, das Trio von Mohamed, Allah und dem Koran zu relativieren, ist keine Reform, sondern ein Selbstbetrug. Fundamentalismus und Intoleranz sind nicht eine Folge der Fehlinterpretation der Texte, sondern eine Folge ihrer Überhöhung. Die Reform des Denkens beginnt, wenn Muslime es wagen, Mohamed aus dem Käfig der Unantastbarkeit zu entlassen und ihn Mensch werden zu lassen – Mensch, der er ja immer war. Erst dann können sie selbst aus seinem/ihrem Gefängnis ausbrechen und Teil der Gegenwart werden, die nicht von Gott, sondern von den Menschen bestimmt wird!»
Mit solchen Aussagen führt Abdel-Samad seine eigene Argumentation ad absurdum; denn seine Abrechnung (siehe Untertitel) mit dem islamistischen Fundamentalismus beruht immer wieder auf Zitaten aus diesen Texten, denen er keine für heute relevante Bedeutung zugesteht.
Es würde meines Erachtens genügen, und Abdel-Samad liefert dafür genügend Argumente, zu sagen:
«Mit einer Religion, die auf Schriften beruht, die von ihrer Entstehung her so zweifelhaften Ursprungs sind, und die – unter anderem auch, weil sie mehrheitlich nichts anderes als kontrollsüchtige Lebensvorschriften für das Leben in einer Wüstengegend im 7. Jahrhundert sind, d.h. nichts mit dem Kern einer Religion zu tun haben – für die heutige Zeit keinerlei Relevanz haben, kann man sich nicht ernsthaft auseinandersetze.»
Punkt!