Machines Like Me – And People Like You

Machines Like Me – And People Like You
Ian McEwan, 2019-11

Vorbemerkung:

Der Titel ist subtil mehrdeutig und erinnert an die Preisfrage im Kontext ‚Machine Translation‘, wie wohl ein Computer den Satz «Fruit flies like bananas.» übersetzen würde (Früchte fliegen wie… oder Fruchtfliegen mögen…). Er passt jedenfalls zum Kernthema AI des Romans.

Der Plot irritiert, jedenfalls auf den ersten 50 Seiten:

  • Die Geschichte, die McEwan erzählt, spielt sich in den 1980-er Jahren ab. Es gibt aber bereits AI-Wesen (Roboter), die Menschen täuschend gleichen, täuschend ähnliche motorische und intellektuelle Fähigkeiten haben, sehen, hören und sprechen können wie Menschen. Das ist auch heute noch Science-Fiction und frühestens in einigen Jahrzehnten zu erwarten – falls überhaupt je einmal. Es ist eine Art von Retro-Science-Fiction.
  • Alan Turing (*1912, ✝︎1954) lebt noch, hat wesentliche Beiträge zu den Fortschritten in Informatik, AI und Soziologie geleistet und dafür die Field-Medal erhalten. Im wirklichen Leben hat Turing bei seinem Prozess wegen seiner Homosexualität die chemische Kastration abgelehnt und ist dafür im Gefängnis gesessen, wo er seine produktivste Zeit erlebt hat.
  • In der gleichen Zeit geschieht der Konflikt um die Falkland-Inseln, den England verliert (samt den Inseln, die jetzt als Malvinas Argentinien gehören), dank unglaublichen Fähigkeiten der berüchtigten Exocet-Raketen, welche Frankreich produziert, die aber auf verschlungenen, vorwiegend Schwarzmarkt-Kanälen in die Hände Argentiniens gelangen.
  • Margaret Thatcher wird wegen der Poll Tax aus dem Amt gejagt. In der nachfolgenden Neuwahl gewinnt Labour haushoch die Mehrheit; Tony Benn wird Thatchers Nachfolger und beginnt – wie nicht anders zu erwarten – eine extrem linke Politik (staatliche Goodies für fast alle, prohibitive Steuern für Reiche, Austritt aus der EU, Einstampfen der britischen Atomwaffen und fröhliche Urstände für eine pazifistische Aussenpolitik, etc.). Bevor er seine wichtigsten Ankündigungen realisieren kann, wird er bei einem Labour-Kongress in Brighton durch ein IRA-Attentat getötet. Denis Healey übernimmt das Szepter.

McEwan liefert keinerlei Hinweise, weshalb eine derartig visionäre Geschichte sich in der Vergangenheit abspielt, warum dafür Figuren wie der längst verstorbene Turing benötigt werden. Es wird spannend sein, zu sehen, ob McEwan das Ganze als intellektuellen Scherz versteht und letztlich das Publikum an der Nase herumführen will.

Für mich bleiben diese Fragen auch am Ende der Lektüre unbeantwortet. Die einzige Erklärung, die mir dazu einfällt, ist die Absicht des Autors, die Geschichte so zu positionieren, dass Ereignisse, die er zwar stark verfälscht, aber den Lesern trotzdem irgendwie vertraut vorkommen dürften, ihm als Aufhänger dienen, um seine Ansichten über Gott und die Welt, über Gesellschaft und Politik, über Technologie und Fortschritt, über Bewusstsein und Algorithmen, über Recht und Moral in die Handlung integrieren zum können.

Der Roman ist sehr anspruchsvoll, aber auch spannend und anregend. Die Tatsache, dass AI und Roboter wirklich in einer extrem futuristischen Science-Fiction-Perspektive dargestellt sind, ist einfach hinzunehmen und im Zweifelsfall zu ignorieren. McEwan gibt selbst einen Hinweis darauf, wie ihm sein Konstrukt, d.h. der Roboter, der sich verlieben kann, der Gefühle und Bewusstsein hat, unrealistisch und problematisch vorkommt; er lässt Alan Turing die Ursachen für Suizide von Robotern folgendermassen erklären (Seite 299): «I think the A‘s and E‘s (Anmerkung BB: gemeint sind die Robotermenschen, die Adam und Eva genannt werden) were ill equipped to understand human decision-making, the way our principles are warped in the force field of our emotions, our peculiar biases, our self-delusion and all the other well-charted defects of our cognition. Soon, these Adams and Eves were in despair. They couldn’t understand us, because we couldn’t understand ourselves. Their learning programs couldn’t accommodate us. If we didn’t know our own minds, how could we design theirs and expect them to be happy alongside us?»

AI und verwandte IT-Themen dominieren allerdings den Roman nicht. Fragen der menschlichen Moral, einer gerechten Bestrafung von Verbrechen versus individuelle Rache, von Atomwaffen, Pazifismus, sozialer Gerechtigkeit, Gleichheit/Ungleichheit, ererbtem Besitz oder Status versus Meritokratie, etc., haben eine mindestens gleichwertige Bedeutung.

Und – last, but not least – der Plot, wenn auch aus der Makroperspektive rätselhaft angelegt, fesselt; McEwan erzählt ihn in gewohnt spannender, unterhaltsamer, fantasievoller, anregender, provokativer und ‚unputdownable‘ Art und Weise, dass die Lektüre von Seite 1 bis zum Schluss ein Vergnügen und eine Bereicherung ist.

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