Gleis 4

Gleis 4
Franz Hohler, 2013-18

Franz Hohler gefällt mir auch als Romanschreiber.

«Gleis 4» ist eine berührende und rührende Geschichte einer ganz normalen Frau, die in Zürich – noch geschwächt und rekonvaleszent von einer kürzlich erfolgten Operation, auf dem Weg in die Ferien, per Bahn zum Flughafen – erleben muss, wie ein wildfremder Mann, der ihr im Bahnhof  Oerlikon den schweren Koffer von der Unterführung über die steile Treppe auf Gleis 4 tragen will, tot zusammenbricht.

Daraus entwickelt Hohler eine spannende Detektivgeschichte. Denn die Heldin (Isabelle) will unbedingt herausfinden, wer der Mann war, beziehungsweise wer sich hinter dem Mann, den die Polizei trotz fehlenden Ausweispapieren bald als Kanadier identifiziert, ‚versteckt’. Ein Frauentrio, Isabelle, zusammen mit Véronique, die wegen des Todesfalls ihres Manns aus Kanada angereiste Witwe, und Isabelles Tochter Sarah, löst schliesslich das Rätsel (das hier nicht verraten sein will).

Hohler verbindet glänzend, einfühlsam, liebevoll und humorvoll geschilderten Zürcher Alltag mit aktuellen Themen wie Multikulturalität, Ökologie, Sehnsucht nach heiler Welt und modernen Zeitgeist und Wegwerfmentalität. Er tut dies ohne ständig erhobenen moralischen Zeigefinger. Die Art und Weise, wie er die Geschichte Isabelles und ihrer Detektivkolleginnen mit einem trüben und traurigen Kapitel schweizerischer Sozialgeschichte verknüpft, gebietet Respekt und durchaus Scham. Denn es gelingt ihm, diese Brücke zu schlagen, ohne die Moralkeule einzusetzen, und insbesondere, ohne der Manie der nachgeborenen und besserwisserischen Gutmenschen zum Opfer zu fallen, ständig Vergangenes mit aktuellen Wertmassstäben zu be- und verurteilen.