Eine Frage der Würde (La regola dell’equilibrio, 2014)

Eine Frage der Würde (La regola dell’equilibrio, 2014)
Gianrico Carofiglio, 2018-15

Dieser Guerreri-Roman tanzt zeitlich aus der Reihe; zwischen diesem und dem zweiten (siehe Besprechung 2018-14) stehen eine ganze Reihe weiterer Guerrieri-Geschichten. Für das Verständnis der Geschichte spielt dies keine Rolle; man muss sich einfach damit abfinden, dass das Umfeld des ‚avvocato‘ nicht mehr so ist, wie es am Ende von «In freiem Fall» aussah.

Der Roman ist ‚typisch‘ Carofiglio: spannend, unterhaltsam und amüsant.

Im Unterschied zu den bisher gelesenen enthält der Roman viele Passagen, die sich eingehend mit dem Wesen des Rechts und der Rechtsprechung sowie dem Rollenverständnis der beteiligten juristischen Hauptakteure (Staatsanwalt, Verteidiger oder Richter) befassen. Die theoretischen Ausführungen über das Rechtswesen tragen zwar kaum etwas zur Spannung bei, sind aber für das Rollenverständnis der Beteiligten und für den Hintergrund des Rechtswesens insgesamt sehr wichtig – in diesem Fall ganz besonders, weil Guerrieri im Verlauf der Geschichte immer wieder ins Spannungsfeld zwischen seinem Rollenverständnis und seinem Gewissen gerät.

Er wird von einem angesehenen Richter, von dem er als Anwalt beigezogen wird, weil gegen diesen – im gegebenen Augenblick noch ‚hinter den Kulissen‘ – wegen Korruption und Bestechlichkeit ermittelt wird. Dies bringt ihn, weil er mit der Frage konfrontiert wird, ob es für einen Anwalt moralisch ist, einen höchst wahrscheinlich schuldigen Täter zu verteidigen, in einen Gewissenskonflikt und begründet längere Roman-Abschnitte, in denen Guerrieri Gewissenserforschung und Selbstreflexionen über seine berufliche Tätigkeit betreibt.

Der Konflikt wird am Ende nicht aufgelöst; Carofiglio begnügt sich mit Andeutungen, die für Leserinnen und Leser den Ausgang des Romans offenlassen.