Ein NZZ-Artikel zum Thema «Buchkritik»

Ein NZZ-Artikel zum Thema «Buchkritik»
Paul Jandl, 2021-02

Ausnahmsweise folgt hier nicht eine Buchbesprechung von mir, sondern eine Meta-Buchbesprechung von Paul Jandl aus der NZZ vom Dreikönigstag 2021.

Da ich in meinen Besprechungen gelegentlich aus der Eigenwerbung der Verlage (d.h. aus Klappentexten und Umschlagslob) zitiere, soll dieser Artikel meine Leserinnen und Leser durchaus dazu animieren, diese Werbesprüche cum grano salis und nicht allzu ernst zu nehmen.

So viel hintergründige Komik kann es gar nicht geben

Unfreiwillig komisch wird es, wenn Verlage ihre neusten Bücher bewerben. Ein Blick ins Gruselkabinett oder in die nächste Büchersaison

Paul Jandl (NZZ, 6. Januar 2021)

 

Schwer zu sagen, ob Markus Söder nicht auf dem falschen Weg ist. «Sie mögen ‹Game of Thrones› oder ‹House of Cards›? Dann sind Sie hier richtig.» So wie «Söder. Die andere Biografie» beworben wird, muss man offenbar fürchten, dass uns entweder alte süddeutsche Waffenbräuche oder moderne Intrigen noch mächtig Feuer unterm Hintern machen werden. «Egal, wie man zu Markus Söder steht: Er lässt keinen kalt», schreibt der Verlag. Hätte als Werbung nicht auch ein anderer Satz gepasst? «Für alle Fans von Destinationskrimis mit speziellem Lokalkolorit und einem völlig neuen Setting.» Nein, der ist schon weg. Mit dem wird das Buch «Tropische Gefahr» beworben. So schlimm ist es mit dem bayrischen Klimawandel auch wieder nicht.

Bücherwerbung! Das ist der Beipacktext der Lesewelt, der Nebenwirkungen schon vor der Anwendung erzeugt: Es schwindelt einem vor lauter Geschwurbel, vor der «existenziellen Wucht», die das neue Gedruckte wieder einmal erzeugt. Kein Wort verwenden die Verlage kühner als das Wort «kühn», keines intensiver als das Wort «Intensität». Wenn die Büchermacher über ihre Produkte reden, dann gilt deren Komik immer als «hintergründig». Der Ton ist «lakonisch» und Poesie «präzise». Die Sicherheit «schlafwandlerisch». Dabei geschehen doch gerade beim Schlafwandeln ziemlich viele Unfälle! Man würde gerne einmal ein Buch lesen, das voll vordergründiger Komik und unpräziser Poesie ist. Mit schlafwandlerischer Unsicherheit und existenzieller Wucht stürzt darin ja vielleicht ein Dichter vom Balkon.

Achtung, die Poren

Das Frühjahr 2021 bringt vieles. Es bringt Bücher von Autoren, denen andere Saisons schon etwas gebracht haben. «150 000 verkaufte Exemplare allein in Quebec!», liest man da über einen Roman mit dem Titel «Die Tore des Todes». Allein in Quebec! Ob sich Houellebecq in Quebec genauso gut verkauft?

Bücher wollen ver- und entführen. Auf einsame Inseln und in menschliche Abgründe. Oder dorthin, «wo sich Profitstreben und mentale Selbsterkundung Gute Nacht sagen» (Jörg-Uwe Albigs neuer Roman). Wen Gegenwartskritik nicht so interessiert, der wendet sich vielleicht Esoterischerem zu. Über die Debütantin Katharina Schaller heisst es: «Ihre Sprache öffnet Poren.» Man soll sich nicht wundern, wenn Leser mit weit offen stehenden Poren ihr Geld zurückverlangen! Ohren auf, wenn man demnächst im Wald (oder in der Buchhandlung) steht: «Endlich wieder lieferbar: die Erzählungen jahrtausendealter Bäume». Zora del Buono beendet mit ihrem Werk «Das Leben der Mächtigen» offenbar das dröhnende Schweigen der Wälder.

Verlagswerbung ist dort, wo eine Hand die andere wäscht. Wo Unterstellung und Übertreibung sich zu kurzen Sätzen formen. «Ransmayr – ein Phänomen», schreibt «Le Monde» und wird von Ransmayrs Verlag auch gleich so zitiert. «Christian Kracht ist ein ganz schlauer Bursche», schreibt Peter Handke. Franz Schuh über Louis-Ferdinand Céline: «Widerlich! ‹Tod auf Raten› zählt zu den besten Büchern, die auf dieser Welt jemals geschrieben worden sind.» Florian Illies über Yulia Marfutova: «Extrem stark. Völlig eigene Stimme.» Ein weiterer Favorit: «Wo andere nur möchten, macht er.»

Kracht mit Trash

Die Macher unter den Schriftstellern sind im Frühjahr wieder gross da: Buch um Buch setzen sie in die Welt, die Handkes, Heins und Gstreins. Juli Zeh begibt sich mit ihrem neuen Roman «Über Menschen» in die «unmittelbarste Gegenwart». Und das ausgerechnet in Brandenburg. Angeblich erzählt Zeh «von unseren Befangenheiten, Schwächen und Ängsten». Man wüsste gerne, wer ihr von «unseren Befangenheiten, Schwächen und Ängsten» erzählt hat. Martin Mosebach, Lordsiegelbewahrer der Nostalgie, hat den Roman «Krass» geschrieben. Bevor man das für echt krass halten möchte, bemerkt man, dass das nur der Name seiner Hauptfigur ist. Schade eigentlich! Der Schweizer Christian Kracht hat nach langem auch wieder ein neues Buch. Der Roman heisst «Eurotrash». Was sagt der Verlag dazu? «‹Eurotrash› ist ein berührendes Meisterwerk von existenzieller Wucht und sarkastischem Humor.»

Schöne Buchtitel gibt es in diesem Frühjahr auch: «Das Glück ist eine Bohne» (Teresa Präauer), «Die einsame Bodybuilderin» (Yukiko Motoya), «Im Reich der Schuhe» (Spencer Wise) und «Entweder ich habe die Fahrt am Mississippi nur geträumt, oder ich träume jetzt» (Oswald Egger). Wie heisst das neue, nun tatsächlich berührende Buch von Gabriele von Arnim? «Das Leben ist ein vorübergehender Zustand». Noch vorübergehender als das Leben selbst: das literarische Leben. Und das ist oft auch gut so.

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