Die Schwarze Rose

Die Schwarze Rose
Dirk Schümer, 2023-10

Der Autor hatte die originelle und sehr anspruchsvolle Idee, Umberto Ecos «Der Name der Rose» fortzusetzen; das erste Ergebnis dieses Projekts ist der 2022 erschiene 600 Seiten schwere Band «Die Schwarze Rose» (siehe dazu auch die Einleitung zur Besprechung 2023-09 «Die Schwarze Lilie»).

Es empfiehlt sich, vor Beginn der Lektüre des Romans die Erinnerung an «Der Name der Rose» mit der Zusammenfassung dessen Handlung aus Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Name_der_Rose) aufzufrischen:

Als Novize und Adlatus in der Obhut des Franziskaners William von Baskerville besucht der den Roman berichtende junge Adson von Melk Ende November 1327 – während der Zeit des Avignonesischen Papsttums – eine Benediktinerabtei im Ligurischen Apennin. Dort sollen sich führende Köpfe des Franziskanerordens mit einer Gesandtschaft des Papstes Johannes XXII treffen, um brisante theologische Fragen des Für und Wider der Vita apostolica, der Armut der Kirche, zu diskutieren und damit gleichzeitig Machtpositionen zwischen dem Apostolischen StuhlDominikanernFranziskanern und dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches abzustecken.

Bevor es zu dem politisch-theologischen Treffen kommt, bittet der Abt des Klosters den für seinen Scharfsinn bekannten William (der früher einmal Inquisitor war, aber dieses Amt niedergelegt hat), den mysteriösen Todesfall Adelmo von Otrantos aufzuklären, der sich unlängst im Kloster ereignet hat. Während Williams Arbeit an diesem Fall kommen innerhalb weniger Tage vier weitere Mönche auf ungeklärte Weise zu Tode.

Die Aufklärung dieser Todesfälle ist der erzählerische Hauptstrang des Romans, der mit etlichen Verzweigungen und Nebenlinien aufwartet, die ein komplexes und vielfarbiges Bild des mittelalterlichen Lebens auf allen sozialen Ebenen zeichnen und insbesondere den erzählenden Adson zu zahlreichen prägenden Erlebnissen und inneren Auseinandersetzungen mit theologischen, historischen und philosophischen Fragen führen. Anhand des Ketzerführers Fra Dolcino und des Inquisitors Bernard Gui werden auch die Phänomene der Häresie und der Inquisition behandelt. Zudem entspinnt sich am Rande eine zarte Liebesgeschichte zwischen Adson und einem namenlosen Bauernmädchen, das er während einer nächtlichen Verfolgungsjagd trifft, das ihn unversehens verführt und das er vor der Inquisition des Bernard Gui retten will.

Die Spur führt William und Adson in die als nahezu unzugängliches Labyrinth angelegte Klosterbibliothek zu dem blinden Bibliothekar Jorge von Burgos. Dieser greise Mönch hütet dort einen besonderen Schatz, nämlich das womöglich einzige erhaltene Exemplar des „Zweiten Buches der Poetik“ des Aristoteles, in dem – nach der Tragödie im ersten Teil – dieKomödie behandelt wird. Jorge hält die in diesem Buch vertretene positive Einstellung zur Freude und zum Lachen für derart gefährlich, dass er es mit einem Gift versehen hat und es lieber vernichten würde, als es in fremde Hände fallen zu lassen. Als der Versuch, nach den fünf Mönchen schließlich auch William durch das vergiftete Buch zu töten, scheitert, kommt es zu einer Verfolgungsjagd und dann zu einem Handgemenge, in welchem eine Öllampe durch Jorge zu Boden geschleudert wird, so dass die weitgerühmte Bibliothek in Brand gerät. William und Adson können zwar aus der brennenden Bibliothek entkommen, jedoch ergreift das Feuer das gesamte Kloster und vernichtet es

Dirk Schümer hat Germanistik, Philosophie und mittelalterliche Geschichte studiert und arbeitet als Journalist (FAZ- und Welt-Kulturkorrespondent). Sein wissenschaftliches Spezialgebiet ist das europäische Mittelalter. Diese Epoche steht auch im Zentrum seiner ersten beiden Romane. Ich bin dank einem Interview in der NZZ vom 5. September 2023 auf Schümer gestossen. In diesem nterview bekennt sich Schümer dazu, dass er es vorzieht, das Weltgeschehen vom Rande aus zu beobachten und deshalb die Zentren der Macht oder der Deutungshoheit zu meiden. Er präsentiert sich als Pessimist (weil der Mensch unfähig ist, aus der Geschichte zu lernen) und, weil er im Selbstmord die einzig gangbare Alternative dazu sieht, als Hedonisten. Er vergleicht seinen Helden, Tetonk Wittekind, der in beiden Romanen die Hauptrolle spielt, mit Voltaires Candide, der, nachdem seine Hoffnungen und Illusionen verweht sind, ohne Hoffnung weitermachen muss: seinen Garten bestellen. Eine höhere metaphysische Wahrheit anerkennt Schümer nicht.

Die grosse Sinnfrage «Wozu das alles?» zieht sich wie ein roter Faden durch den ganzen Roman, auch wenn es in erster Linie ein lustvoll, farbig und spannend fabulierter Kriminalfall aus der Zeit der Papstresidenz in Avignon ist. Es gelingt Schümer, seine Geschichte mit dem zeitspezifisch aktuellen politischen und weltanschaulichen Geschehen so zu verflechten, dass Leserinnen und Leser gewissermassen nebenbei eine äusserst interessante Geschichtslektion und gleichzeitig wertvolle Anregungen zur geistigen Auseinandersetzung mit für die spätere Entwicklung Europas zentralen Fragen erhalten; Beispiele dafür sind:

  • Papstexil, Rolle und Reichweite der Päpste
  • Rivalität zwischen dem französischen Königreich und dem Kaiser des ,Heiligen römischen Reichs’
  • Ausmass und Mechanismen der Inquisition
  • Häresien als Vorboten der späteren Reformation
  • von der Inquisition ausgelöste totale Auslöschung und physische Vernichtung der Katharer, einer – aus Sicht der Amtskirche – häretischen Glaubensgemeinschaft durch innereuropäische Kreuzzüge
  • Zersetzung der christlichen Religion durch weltliche Machtansprüche, Knebelung und Ausbeutung des sogenannt einfachen Volkes und päpstliche Gier nach unermesslichen Reichtümern)

Darüber hinaus vermittelt Schümer, auch wenn die Handlung seiner Geschichte frei erfunden ist, ein für alle Gesellschaftsschichten historisch korrektes Bild der Sitten und Lebensrealität der Epoche.

Die Geschichte spielt sich 1328 ab, als Avignon als Sitz der aus Rom vertriebenen Päpste dient. Ein berühmter alter und gebrechlicher deutscher Prediger, der in Deutschland bereits als Ketzer verurteilt ist,  hält sich mit seinem Begleiter und Beschützer, dem jungen Dominikanernovizen Tetonk Wittekind in Avignon auf, um sich der Inquisition zu stellen; er hofft auf eine Rehabilitation oder Begnadigung durch den Papst. Die beiden entdecken zufällig einen brutalen Mord und geraten bei der Suche nach dem Täter in eine Kette von für sie äusserst gefährlichen Vorgängen.

Denis Scheck, der spitzfedrige Moderator der SWF-Sendung «Lesenswert» schreibt über das Buch: «Ein historischer Roman, eine Liebesgeschichte, ein Actionroman mit Tarantino-haften Splatterszenen, aber auch ein Finanzthriller – ein Roman wie ein Film noir, ein echtes Vergnügen».

Da kann man nur zustimmen – und lesen!

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