Der alte weisse Mann – Sündenbock der Nation

Der alte weisse Mann – Sündenbock der Nation
Norbert Bolz, 2023-04

Dieses Buch ist nicht etwa eine wissenschaftliche Abhandlung, sondern eine Philippika.

Es zeichnet sich zwar aus mit einem reichen Schatz von Zitaten kluger (weisser und mehrheitlich älterer) Herren (natürlich!) aus der ganzen Entwicklungszeit der westlichen Zivilisation, mit denen Bolz seine These untermauert. Die These ist im Wesentlichen:

Der alte weisse Mann ist nicht der Täter, der den Planeten Erde zugrunde richtet und die Menschen unterdrückt und ausbeutet, sondern:

  • Er ist verantwortlich für erwachsenes, reifes und rationales Verhalten in Gesellschaft und Politik; er hat die weltweit verbreiteten Grundlagen (,rule of law’, Gewaltenteilung, Subsidiaritätsprinzip) der demokratischen Staatsführung und Beteiligung und Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger entwickelt und damit die Voraussetzungen für ein eigenverantwortliches Leben in Freiheit geschaffen.
  • Er ist Träger und Treiber von wissenschaftlichen Entdeckungen und technischen Entwicklungen sowie der Produktion der Werkzeuge, welche die Menschen – heute global – zur Beherrschung der Natur sowie zu Zugewinn an Wohlstand, Gesundheit und Kreativität befähigen (von deren Ergebnissen heute alle Kulturkreise und Zivilisationen zehren und profitieren).
  • Er verkörpert diejenigen Tugenden, welche notwendig sind, um unter modernen Lebensbedingungen leben zu können; namentlich Unabhängigkeit, Selbstvertrauen, Risikobereitschaft und Mut zur abweichenden Meinung.

Wenn im Buch selbst oder in der folgenden Besprechung vom ,Westen’ (in allen sprachlichen Varianten) die Rede ist, sind diejenigen Zivilisationen gemeint, die in der griechisch-römischen Kultur verwurzelt sind, also primär Europa, Nord- und Südamerika, Australien, Japan (teilweise), Südafrika). 

Die Sprache von Bolz ist klar, prägnant, provokativ und teilweise polemisch. Bolz ist ausserordentlich kreativ mit neuen und einprägsamen Wortschöpfungen; einige Beilspiele aus den ersten 50 Seiten: Herde der Individualisten; Einheitspartei der Gutmenschen; je schwächer der gesunde Menschenverstand, desto stärker die Gesinnung; geistige Blockwart-Kultur; Exhibitionismus der Schuld; Flagellanten des Westens; «Woke» – die Tyrannei der Wehleidigen; ich bin ein Opfer, also bin ich; Wokewashing; moralisch indigniert zu sein, ist aber die Würde der Dummköpfe; Wiederentdeckung der Erbsünde.

Die Lektüre ist deshalb nicht nur interessant und bezüglich vieler von Bolz aufgezeigter Zusammenhänge überraschend, sondern auch amüsant und unterhaltend.

In einem fast 80-seitigen Einleitungskapitel setzt sich Bolz mit den Hauptströmungen der heutigen (westlichen) Gesellschaft auseinander. Die Überschriften der einzelnen Kapitel illustrieren die Bandbreite der von Bolz ad extremis auf den Punkt gebrachten Aspekte:

  • Hass, Lügen und Grenzen der Aufklärung
  • Weisse Lügen
  • Haltungsjournalismus
  • Die Versklavung der eigenen Meinung
  • Die Parallelgesellschaft der medialen Elite
  • Tribunalisierung und Selbstanklage
  • Die zweite Schuld
  • «Woke» – die Tyrannei der Wehleidige
  • Rousseau statt Marx
  • Im Treibhaus der Weltfremdheit
  • Die Frauen als Opfer der Frauenquote
  • Politischer Infantilismus
  • Der Staat als Super-Nanny
  • Die Regenbogenmenschen
  • Die intellektuelle Boheme
  • Gramscis später Sieg
  • Ein Vorschlag zur Güte.

Diese Titel zeigen auch, dass Bolz sein Thema nicht systematisch oder ganzheitlich angeht, sondern sich lustvoll und essayistisch auf Einzelaspekte fokussiert und deren Analysen ohne zwingenden Zusammenhang aneinanderreiht. Das führt zwangsläufig auch zu einer gelegentlich ermüdenden Redundanz, weil die Trennschärfe der einzelnen Themen sehr fliessend ist.

Die Quintessenz des Einleitungskapitels ist: Die Versuche der ,woken’ Eliten des Westens, die Welt zu retten, sind zum Scheitern verurteilt, weil sie den Boden der Aufklärung verlassen, Rationalität verteufeln, Wirklichkeit nicht erkennen wollen, Sachverstand durch Betroffenheit ersetzen, und vor allem, weil sie sich als einzige Instanz, die Gut und Böse unterscheiden und qualifizieren können (dürfen!) und deshalb allen, die eine andere Meinung haben, moralisch überlegen fühlen.

In den anschliessenden Hauptkapiteln seziert Bolz die Stichworte ,alt, weiss, Mann’ seines Titels. Er kommt zum Ergebnis, dass, diese Stichworte eben nicht als Gleichungen für «alt = obsolet», «weiss = Verbrecher» und «Mann = toxisch» stehen, sondern für alle Eigenschaften, welche den Westen prägen, ihn zum politischen und intellektuellen Vor- und Zerrbild sowie zum Innovationsmotor der ganzen Welt gemacht haben.

Folgende Aspekte von «Der alte weisse Mann – Sündenbock der Nation» halte ich für kritisch; jedenfalls sind sie bei der Würdigung der Thesen von Bolz im Auge zu behalten:

  • Bolz behandelt ein Thema, das weltweit aktuell und brennend ist. Somit ist der «weisse alte Mann» nicht der ,Sündenbock der Nation’, sondern der Sündenbock für alle Übel dieser Welt. Der Untertitel von Bolz ist ein Hinweis darauf, dass seine Perspektive sehr auf die Verhältnisse in Deutschland zentriert ist und differenzierter ausfallen müsste, wenn sein Blick auch explizit auf andere Teile des Westens gerichtet wäre.
  • Meines Erachtens liegt eine der Hauptursachen des Selbsthasses des Westens darin, dass der Mythos, der Mensch sei die Krone der Schöpfung, nicht nur entzaubert ist, sondern durch die Mär vom ,weissen, alten Mann’ in sein Gegenteil verwandelt wird, nach der Logik: «Wenn wir schon nicht die Krone der Schöpfung sind, wollen wir wenigstens den tiefsten Abgrund der Bosheit, deren die Menschen fähig ist, besetzen; also wenn nicht Krone, dann grösstes Verbrechertum!» Bolz behandelt mit seinen Ausführungen zur ,Zweiten Schuld’ oder zur ,Wiederentdeckung der Erbsünde’ einen verwandten Aspekt, geht aber nicht auf die Konsequenzen des Verlusts des Anspruchs auf die Krone der Schöpfung ein
  • Bolz schiesst sich ausschliesslich auf die ,woke’ westliche akademische Elite ein. Die Tatsache, dass dies nur ein kleiner Teil unserer Gesellschaft ist, und dass die behandelten Probleme für den grössten Teil der Menschheit nicht von Belang sind, kommt dabei zu kurz.
  • Ich halte es für sehr wohl möglich, dass das Zerrbild des ,alten weissen Manns’ nur den gegenwärtigen, während Jahrtausenden evolutionär entstandenen Stand der Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau reflektiert und gewissermassen nur eine Momentaufnahme eines Entwicklungsprozesses ist, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Insofern wäre alles, was Bolz kategorisch und abschliessend als männliche Qualitäten würdigt, letztlich nicht männlich, sondern menschlich. Das könnte bedeuten, dass die Unterschiede zwischen Mann und Frau, soweit sie nicht biologisch determiniert sind, mehr und mehr verschwinden, und dass auch die Frauen die heute noch als typisch männlich betrachteten Eigenschaften (Risikobereitschaft, Unternehmergeist, Mut) annehmen und ausleben.

Jedenfalls ist die Behauptung von Bolz (siehe Seite 207), «Der Mut zum freien, riskanten Denken ist männlich.» nicht haltbar. Das mag zu Platons Zeiten noch vertretbar gewesen sein, weil das der damaligen evolutionären Arbeitsteilung entsprach, ist aber heute absolut nicht mehr haltbar.

Bolz sieht als Beispiel für männliche Qualitäten den Sport und den zugrundeliegenden unbedingten Siegeswillen. Dabei übersieht er jedoch, dass die treibenden Eigenschaften von Mann und Frau im Sport schon weitestgehend identisch sind.

  • Bolz geht mit keinem Wort darauf ein, dass viele der Untaten, die dem ,weissen alten Mann’ angelastet werden, auch von anders zivilisierten Gesellschaften begangen wurden, (Beispiele: Sklaverei, Unterwerfung und Ausbeutung anderer Völker), und dass die Frauen von weissen Männern von vielen derer Untaten klaglos mit profitiert haben (Beispiele: Sklaverei, Übernutzung der Ressourcen unseres Planeten). Das bestätigt die Klugheit der Feststellung, mit der die Erde die Frage der Venus, weshalb sie so krank aussehe, beantwortet: «Ich habe homo sapiens.» Der Mensch ist also das Problem, nicht der Mann.
  • Zum Cliché des ,alten weissen Manns’ gehört normalerweise auch das Attribut ,heterosexuell’. Bolz geht ohne Erklärung darauf nicht ein. Vielleicht will er damit der Frage auszuweichen, ob sich die anderen Genus-Identitäten, die mit dem biologischen Geschlecht ,Mann’ verbunden sind, bezüglich der als typisch männlich geltenden Eigenschaften unterscheiden.

Abschliessend gestatte ich mir, die Klage über den ,alten weissen Mann’ mit einem selbst erfundenen Bonmot abzurunden:

Der weisse alte toxische Mann war und bleibt immer der Neger*. Er kam schliesslich als Schwarzer, als afrikanischer Migrant nach Europa**.

Was hat ihn geweisselt? Das Klima.

Warum betreibt er dann hartnäckig weiter den Klimawandel und die Erderwärmung?

Er will, dass das Klima in Europa wieder so wird wie in Afrika, damit er wieder schwarz und den Ruf des weissen alten toxischen Mannes loswerden kann.

Er bleibt also der Neger. QED.

* ,Neger’ ist im vorliegenden Kontext nicht als rassistisch zu verstehen; das verbotene N-Wort wird hier im Sinn der schweizerdeutschen Umgangssprache verwendet, in der es bedeutet: minderwertig; untertan; fremd oder nicht dazugehörend; bestenfalls für Arbeiten geeignet, die keine besonderen Fertigkeiten voraussetzen, und die niemand sonst ausführen will.

** Das gilt natürlich für alle Menschen, also auch für gelbe, rote oder braune.

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