Cockroach

Cockroach
Ian McEwan, 2019-19

Vorweg eine Besprechung aus der NZZ vom 3. Oktober 2019:

Frei nach Kafka

Ian McEwans Brexit-Satire

Marion Löhndorf

Es ist die reinste Rachephantasie. Ian McEwan schreibt sich in der 100-Seiten-Novelle «The Cockroach» den Brexit-Hass von der Seele. Macht seiner Wut auf den Zustand seines Landes Luft. Mit Lust haut er auf den Putz, wie man es von dem sonst so zurückhaltenden Schriftsteller nicht kennt.

Auf den ersten Seiten erdichtet der Brite die Menschwerdung einer Kakerlake – oh, die Augen, wie sie sich bewegen, und die dicken Menschenbeine, wie flink sie ihn die Treppe hinuntertragen! Als Insekt brauchte der Verzauberte dreimal so lange. Nur sein Kakerlakenhirn ist unverändert, und damit bleibt auch Jim Sams, «clever, aber keineswegs tiefgründig», ganz er selbst. Der Haken ist: Ganz als er selbst erhebt er sich nun in Gestalt des britischen Premierministers. Die Welt weiss nichts von seinem tierischen Vorleben. Die Leserin aber weiss gleich: Hier ist Boris Johnson gemeint.

Nur ein Knalleffekt

McEwans Fabulierlust, die den Beginn noch so verspielt antreibt, kommt bald zum Erliegen. Ruck, zuck verschwinden die Kakerlakenbezüge, die sowieso nie wirklich folgerichtig durchbuchstabiert werden; nur zum Schluss zaubert der Autor sie noch einmal aus dem Hut, für einen Knalleffekt, der aber auch nicht so richtig zündet.

Überhaupt macht einen die Gleichsetzung von Menschen mit dem, was gewöhnlich als Ungeziefer bezeichnet wird, beim Lesen nicht froh, Satire hin, Satire her. Die Freude am Augenzwinkern in Richtung von, na ja, Kafka, Swift und vielleicht sogar Orwells «Animal Farm» hat sich schnell erschöpft. Es bleiben schwach verbrämte Highlights des Brexit-Wahnsinns. Trump hat einen Auftritt als twitternder Archie Tupper, der Brexit selbst hält als «Reversalismus» Einzug. Gemäss diesem soll das Volk fürs Arbeiten zahlen, fürs Einkaufen aber entlohnt werden. Die deutsche Kanzlerin stützt in einem (ganz unironischen) Kurzauftritt den Kopf in die Hände und fragt: «Warum?»

Obwohl das Buch kurz ist, zieht es sich. Denn wer will den Stoff der Tageszeitungen noch einmal – literarisch leicht zurechtgezupft – im Zweitdurchlauf vorgeführt bekommen? Wo das Leben doch schon längst die Kunst nicht nur imitiert, sondern übertrifft. Ein paar schöne Giftigkeiten jedoch, die abseits der obligaten Schelte liegen, hält McEwans Anti-Brexit-Brevier bereit. Der «Guardian» mit seiner vorhersehbaren politischen Korrektheit bezieht Prügel – die Zeitung geht einem Fake-Artikel von Sams auf den Leim –, und auch die eigene Zunft bleibt nicht verschont: «Es gibt nichts Schöneres als eine eng gestrickte Abfolge von Lügen. Deshalb also wurden Menschen Schriftsteller.»

Kein Ruhmesblatt

Die englische Presse, auch der Brexit-kritische «Guardian», urteilte ungnädig. Den konservativen «Daily Telegraph» brachte der «überstrapazierte Party-Gag» zum Gähnen. Die «Times» hielt das Buch für «ziemlich schwachen Stoff». Am schärfsten fiel das Urteil der «Financial Times» aus. Der Roman sei ein Beweis für die Arroganz und Verachtung der liberalen Gesellschaft «gegenüber denen, die es wagten, ihr Paroli zu bieten, indem sie für den Brexit stimmten». Ähnliches liess auch der «Evening Standard» anklingen, dessen Chefredaktion der ehemalige Schatzkanzler und Remainer George Osborne innehat.

Dabei sind einige von McEwans besten Freunden Brexit-Wähler, wie er kürzlich der «Times» erklärte: «Ich will mein Leben nicht nur mit Menschen bevölkern, mit denen ich bereinstimme.» Die Brexiteers in seinem Umkreis dürfte das Werk kaum freuen. Ebenso wenig wie die Gegenseite, den grimmigen Kritiken gemäss. Wobei sich endlich einmal alle einig wären.

In deutscher Sprache erscheint «Die Kakerlake» am 27. November bei Diogenes.

Dem ist nichts hinzuzufügen, ausser meinem Eindruck, dass der Verriss noch zu zahm ist. McEwans Cockroach-Einfall ist ein totaler und dilettantischer Reinfall und vor allem völlig inkonsequent durchgezogen. Anzuerkennen bleibt allein, dass dieser Brexit-Klamauk ohne eine einzige Erwähnung des Wortes ‚Brexit‘ auskommt. Die absurde Idee des ‚Reversalismus‘ (Arbeit kostet, Konsum macht reich) mag lustig sein; aber als Ersatz für den Irrsinn kommt sie mir zu abseitig vor. Wenn McEwan damit zeigen will, dass Politiker verrückt und durchgeknallt sind, mag sie gerade noch durchgehen.

Der Roman bestätigt die alte Weisheit: «Si tacuisses, philosophus mansisses.» So verständlich McEwans Wut über den Brexit und die Brexiteers ist, er hätte sich dieses miserable Werk sparen können und hätte besser geschwiegen.

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