
Mark Twain (né Samuel Langhorne Clemens) hat testamentarisch verfügt, dass seine Autobiography, die er in seinen letzten vier Lebensjahren seinen Sekretärinnen diktiert hat, frühestens 100 Jahre nach seinem Tod veröffentlicht werden dürfen. Im Jahr 2010, hundert Jahre nach seinem Tod, war es so weit; der erste Band wurde publiziert.
Twain hatte schon verschiedene schriftliche Anläufe zu seiner Autobiografie gemacht; das Ergebnis befriedigte ihn jedoch nicht, weshalb er alle Versionen vernichtete. Schliesslich entschloss er sich, sein Leben erzählend und anekdotisch zu resümieren; er diktierte seine Erinnerungen seinen Stenographinnen verteilt über vier Jahren. Das wird im Ergebnis sicht- und spürbar, denn es handelt sich bei seinem Lebensbericht offensichtlich mehr um eine Plauderei als um ein durchstrukturiertes Fazit. Er nimmt sich dabei bezüglich der Chronologie seines Lebens grosse Freiheit; springt zeitlich vor und zurück, wählt Ereignisse eher zufällig und willkürlich aus, bricht einen Erzählstrang ab und springt wieder zurück – nach Lust und Laune. In der Beurteilung seiner Zeitgenossen, unabhängig davon, ob sie in seinem Leben direkt eine Rolle spielten der nicht, unterliegt er keinen Hemmungen, ausser dass er bei aller Härte des Urteils immer die zeitspezifischen Grenzen der Höflichkeit und der gepflegten Sprache einhält.
Twains Autobiographie ist in diesem Sinn eine glänzende Illustration des Gebots: «Eine Rede ist keine Schreibe». Als Leser fühlt man sich wie bei einem der zahlreichen Auftritte Twains als humoristischer Redner, wie er – sitzend vor dem Kaminfeuer – frei und locker über sein Leben erzählt. Dabei kommen viele Personen vor, die man inzwischen vergessen hat, die aber für Twain so wichtig waren, dass er ihnen in seiner Lebensbilanz nochmal begegnen wollte. Er gewährt aber damit Einblicke in das gesellschaftliche Leben seiner Zeitepoche, die, obwohl willkürlich ausgewählt, dafür durchaus repräsentativ sind.
Mir ging es bei der Lektüre so, dass ich das Buch jeweils nach einigen Kapiteln auf die Seite legen musste. Es ist zwar sehr unterhaltsam, aber dann per Saldo doch zu wenig spannend, um es in einem Zug zu lesen. Man kann es jederzeit wieder zur Hand nehmen und einige weitere Kapitel geniessen, aber für ein integrales Lesen hat es zu wenig Biss und keinen roten Faden, der einen nicht loslässt.