Antisemitismus, woher?

Antisemitismus, woher?

Der aktuelle Diskurs in der westlichen Gesellschaft über den – 2023! – erneut grassierenden Antisemitismus zeichnet sich dadurch aus, dass nur darüber gesprochen wird, was alle anderen dazu beitragen, aber nicht darüber, dass unsere eigene (christliche) Vergangenheit, während rund zwei Jahrtausenden in der Wolle eingefärbten Antisemitismus verkörpert.

Dabei ist folgende Kausalkette interessant:

  • Für die Christen waren die Juden die Mörder von Jesus; zur Strafe waren sie zu Heimatlosigkeit und einem Leben in Schande verurteilt. Das Vierte Laterankonzil von 1215 verschärfte schon lange bestehende byzantinische Gesetze, die das Zusammenleben von Christen und Juden erschwerten oder verboten und zwang Juden (und Moslems) sich abweichend zu kleiden, damit christliche und jüdische (und muslimische) Männer und Frauen «sich nicht irrtümlich miteinander einlassen». Es verbot ausserdem die Übertragung öffentlicher Ämter an Juden (und Heiden), weil diese dadurch Macht über Christen erhalten würden.
  • Schon das frühe Christentum untersagte das Geschäft mit dem Geld; als Vorbild dient wohl die Vertreibung der Geldwechsler aus dem Tempel durch Jesus.
  • Im christlichen Europa sind alle sogenannt ,ehrbaren’ Berufe für Juden verboten: deshalb sind diese gezwungen, Berufe, die für Christen tabu oder ,schmutzig’ waren, auszuüben. Indirekte Folge davon ist der Ausschluss der Juden von der Teilhabe an allen politischen Prozessen.
  • Konsequenz: Die Juden mussten sich auf das Geldgeschäft, den Handel, auf freie Berufe oder andere vorwiegend intellektuelle Tätigkeiten fokussieren. Das ist einer der Gründe für die Tatsache, dass Juden einen überproportional hohen Anteil solcher Tätigkeiten ausüben; es ist nicht so, dass sie klüger wären, sondern, dass sie während Jahrhunderten die einzigen waren, die diese für Christen verbotenen oder verpönten Berufe ausübten und darin Erfahrung und Expertenwissen äufnen konnten. Im Gegensatz dazu begnügten sich die Christen mit handgreiflichen Dingen: sie wurden Bauer, Müller, Schmied oder Bäcker.
  • Im Mittelalter machten sich die jüdischen Geldhändler (heute würde man von ,Finanzintermediären’ reden) besonders unbeliebt, weil sie mit Krediten an den Adel und die herrschenden Familien wohlhabend wurden und ihre Kunden von sich abhängig machten. Periodisch, immer dann, wenn die Adligen ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen konnten, fanden Juden-Pogrome statt; den Juden warf man vor, die Pest herbeigebracht oder die Brunnen vergiftet zu haben; Judenviertel – Apartheid lässt grüssen – werden abgebrannt und deren Bewohner vertrieben, und die Schulden waren weg.
  • Eine Nebenwirkung der christlichen Verteufelung des Geschäfts mit der Ware Geld ist die Tatsache, dass die westlich-europäische Gesellschaft, auch in gebildeten Schichten, nur geringe Kenntnisse von finanziellen Dingen und noch weniger Interesse dafür hat und wenig Verständnis für Zinseszinseffekte aufbringt.
  • Finanzwissen ist kein Schulstoff; weil jeder weiss, dass das Geldgeschäft böse ist, muss man das somit nicht erlernen. Dieses Defizit wird durch die Finanzinkompetenz der wichtigsten Multiplikatoren noch verschlimmert: Theologen, Lehrer, Politiker, Soziologen äussern sich umso hemmungsloser und dogmatischer über gesellschaftliche Themen, je weniger sie von den zugrundeliegenden Finanzierungsfragen verstehen.
  • Aus diesem Nährboden wuchs die Mär vom jüdischen Weltkapital, die u.a. via Marx Eingang in die marxistische Ideologie fand und so eine Quelle für den inhärenten linken Antisemitismus wurde.
  • Quintessenz: die ursprünglich frühchristliche Ablehnung des Geschäfts mit der Ware Geld führt dazu, dass die Betreiber dieses Geschäfts, also die Juden, als Unmenschen behandelt werden. ,Jüdische Weltfinanz’ wird zum Refrain des Antisemitismus.
  • Da man heute, sogar unter ,woken’ Menschen, die Juden oder das ,jüdische Weltkapital’ nicht mehr offen kritisieren kann, haben die Banquiers, neudeutsch Banker, die Rolle des geldgierigen Juden zu übernehmen. Anders gesagt: die Verteufelung des Bankgeschäfts und der Banker ist eine säkulare und ,politisch korrekte’ Weiterführung der Verteufelung des jüdischen Weltkapitals.
  • Die Banker sind also die zeitgenössischen Juden, oder das Ziel eines modernen Stellvertreter-Antisemitismus.

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