
Der Roman «Altes Land» ist der Erstling der Autorin, den sie als 51-jährige Jungautorin 2015 veröffentlicht hat. Dörte Hansen erzählt eine Geschichte, die so nur in Deutschland herauskommen und mit Begeisterung aufgenommen werden kann.
Das ‚alte Land‘ ist ein Landstrich in Niedersachsen, im Grossraum Hamburg, der am südlichen Ufer der Elbe liegt. Er wird seit Hunderten von Jahren landwirtschaftlich genutzt, in erster Linie für den Obstanbau, vor allem für Äpfel- und Kirschenplantagen; das alte Land gilt als das grösste zusammenhängende Obstanbaugebiet Europas. Seine Bevölkerung ist überwiegend bäuerlich; die knorrige Art seiner altansässigen Bauern passt hervorragend zu den alten, reetgedeckten grossen Riegelhäusern.
In dieses alte Land wird die am Ende des Zweiten Weltkriegs aus dem ehemaligen Ostpreussen vertriebene, aus altem preussischem Landadel stammende Urgrossmutter von jetzt 4 Generationen von Frauen ‚verpflanzt‘.
Der Roman schildert, wie sie selbst und ihre nachkommenden drei Frauengenerationen sich sukzessive im alten Land, also im Milieu von landverwurzelten, bodenständigen niedersächsischen Bauern, solchen, die wollen, dass alles so bleibt, wie es immer war, aber auch solchen, die dem Zeitgeist entsprechend alte Apfel- und Kirschensorten aus der Versenkung holen und der modernen zeitgeistigen Kundschaft, der von Massenwaren aus dem Supermarkt übel wird, andrehen, sowie — als Kontrast — von Grossstadt-flüchtigen bio-vegan-Aposteln, die dort Entschleunigung, sich selbst, d.h. das Echte, Authentische und die heile Welt suchen. Dazwischen bekommt diese ‚moderne Kundschaft’ auch ihr Fett ab, weil sehr drastisch und sarkastisch geschildert wird, wie diese, bevor sie die Grossstadt flieht, ihre Kinder- und sonstigen Statusprojekte zelebriert und einfache Lebensaufgaben, für deren Bewältigung normalerweise der gesunde Menschenverstand mehr als ausreicht, zu abgehobenen, parareligiösen Ideologien und gesellschaftlichen Tabus sublimiert.
Hansen schreibt flüssig und sehr lesbar; sie würzt ihren Text und ihre Charaktere mit viel Humor. Die eingestreuten plattdeutschen Spurenelemente, die vermutlich primär der Authentizitätspflege geschuldet sind, sind auch für den alemannischen Leser bewältigbar.
Gelegentlich schrammt Hansen haarscharf an der Kitsch-Schmerzgrenze entlang. Und die Fantasie lässt sie sehr am langen Zügel; Beispiel: das musikalische Wunderkind, das ihrem anscheinend viel begabteren jüngeren Bruder am Klavier den Vortritt lässt und dafür die Querflöte virtuos beherrscht, jedoch ihr Instrument plötzlich im Estrich versteckt und dafür eine Tischlerlehre macht, um dann später, weil sie nach dem Bruch ihrer Ehe für sich und ihren jungen Sohn ein Dach über dem Kopf braucht, das alte und während Jahrzehnten völlig vernachlässigte Reetdach-Bauernhaus ihrer Tante renovieren zu können, das alles strapaziert die Glaubwürdigkeit der Geschichte schon sehr stark. Sei‘s drum — se non è vero, è bene trovato!
Ich hätte das Buch wohl nie gekauft. Gelesen habe ich es, weil es zuhause an der Zürichbergstrasse herumlag; Brigitte und ich haben keine Ahnung, wie es zu uns kam. Ich bin aber froh, es gelesen zu haben, denn es öffnet ein kleines Fenster auf eine Welt, die für mich fremd ist und im Verborgenen bleibt, nämlich die Welt der Vertreibungen und der Vertriebenen, die entweder an ihrem Trauma zugrunde gehen, oder — wie es die drei Frauengenerationen dieses Romans vormachen — mit ihrem Fremdsein und ihrer Sehnsucht nach zu Hause ganz gut fertig werden.
Zum Dessert noch zwei Rezensionen aus dem Klappentext:
Dennis Scheck, Deutschlandfunk: «Dörte Hansen ist eine psychologisch versierte Autorin, deren Buch über die Vererbung des Traumas der Vertreibung, Apfelbauern im Alten Land und die wirren Aussteigerideen saturierter Städter vom Landleben traumwandlerisch die richtige Balance zwischen Familienroman und Satire findet.»
Markus Reiter, Stuttgarter Zeitung:«Das muss man erstmal schaffen: einen erfolgreichen Roman zu schreiben, der so leichthin Gentrifizierungsflüchtlinge ebenso aufs Korn nimmt wie veränderungsresistente Bauern; der Hipster wie Landvolk ironisch charakterisiert, ohne sie verächtlich zu machen.»