
Ich bin durch meinen Freund Hansjörg Anderegg auf diese Neuerscheinung (2022) aufmerksam gemacht worden und habe jetzt das Buch gelesen und genossen.
Zunächst als Appetizer die Ankündigung aus dem «Spektrum der Wissenschaft (20221229 – spektrum.de):
Michael Sommer verspricht: die Antike zusammengefasst auf 272 Seiten. Und doch ist das Buch mehr als nur ein Resümee der römischen und griechischen Geschichte: Gleich einer Parenthese ist die historische Betrachtung eingebettet in den aktuellen Diskurs über den Stellenwert antiker Sprachen und Werte für unser Bildungssystem.
Alle Wege führen nach Rom – Die kürzeste Geschichte der Antike
Mehr Antike wagen!
Der Einführungstext auf der Rückseite wie auch der Titel von Kapitel acht wären ein passenderer Untertitel gewesen: »Mehr Antike wagen!« Denn genau darum geht es dem Autor. Er beginnt autobiografisch mit seiner ersten persönlichen Berührung mit der Antike (wer Asterix-Comics vermutet, liegt richtig). Anschließend präsentiert er die aktuellen bildungspolitischen Forderungen nach mehr Technik, praktischen Anwendungen und Weltgeschichte in Schulen auf Kosten der »nicht mehr zeitgemäßen, klassischen Bildung«. Das kann ein Professor für Alte Geschichte natürlich nicht unkommentiert stehen lassen. Und so folgt Sommers Gegenantwort in Form einer Widerlegung und der Aufstellung von Gegenthesen.
Im Anschluss gibt es je zwei Kapitel zum antiken Griechenland, zur Römischen Republik und zur Kaiserzeit beziehungsweise Spätantike. In jedem Abschnitt stellt der Autor den historischen Bezug zu aktuellen geo- und sozialpolitischen Themen her. Das stellt die geteaserte »kürzeste Geschichte der Antike« dar, was nicht von ungefähr ist: kurz, aber treffend!
Das Abschlusskapitel macht hingegen deutlich, wie wichtig ein Verständnis der Antike zur Lösung – oder zumindest für das Verstehen – der skizzierten Weltprobleme ist. In diesem Teil des Buchs wagt Sommer in weiteres Stilmittel, indem er drei Gegenthesen aufstellt und diese anhand von Gesprächen mit vier Mitmenschen, die er zum Teil wörtlich zitiert, erörtert.
Natürlich kann er die umfassenden historischen Ereignisse nicht in der vollen Tiefe darstellen, doch es gelingt Sommer, die Kerninhalte der Epochen zusammenzufassen und nachhaltig zu vermitteln. Durch die wiederkehrenden Verweise auf spätere Epochen, etwa die Zunahme von Demagogie und Populismus in der Politik oder historisch-aktuelle Konflikte (beispielsweise Ex-Jugoslawien), wird der Gegenwartsbezug sehr deutlich.
Obwohl die Dreiteilung komplex klingt, ist sie es nicht. Vielmehr gleiten die Passagen ineinander über, so dass an erst bei der Abschlussreflexion wieder über die in der Einleitung formulierten Thesen nachdenkt. Denn die Abschnitte sind alles andere als trocken und kompliziert geschrieben, vielmehr zeichnen die Vergleiche und Anekdoten ein feiner Witz und spitze Pointen aus. Der Text liest sich leicht, müssig und eingängig, ist witzig und griffig. Umfassende Literaturangaben sowie eine Zeittafel am Ende runden das Ganze ab, sind aber für das Verständnis eher untergeordnet. Geschickt baut der Verfasser nämlich die Kapitel um antike Epochen auf, verortet diese jedoch nur mit wenigen Zahlen und Daten, sondern fokussiert sich darauf, die Veränderungen und Neuerungen der Zeitabschnitte sowie deren gesellschaftlichen Wandel aufzuzeigen. Dabei nimmt er im Wesentlichen die politisch-gesellschaftlichen Änderungen in den Blick, zudem Neuerungen in Wissenschaft, Kultur, Religion und Technik. Somit ist das Buch auch denjenigen zu empfehlen, die sich erstmals Geschichte nähern wollen und zum Beispiel eine Ergänzung zu Schulbüchern suchen. Gleichzeitig bietet es Geschichtsinteressierten gute Unterhaltung und eine fesselnde Auseinandersetzung mit der Antike.
Robin Gerst
Der Rezensent ist Archäologe und wirkte an der Konzeption des Besucherzentrums »Paläon« in Niedersachsen mit.
Diese Rezension ist sehr treffend und vollständig. Ich will ihr nur einige persönliche Bemerkungen beifügen:
- Die sanfte Kritik der Rezension am Untertitel ist mehr als berechtigt. Erstens ist er unnötig reisserisch, und zweitens falsch. Denn mit den in der Rezension angesprochenen zahlreichen Bezügen zwischen der Antike und der Gegenwart behandelt Michael Sommer viel mehr als die Geschichte der Antike, und genau diese Bezüge und Brückenschläge machen das Buch so wertvoll, ganz besonders für junge Menschen, die auf dem Weg zu einer breiten und tiefen Allgemeinbildung sind. Wer die infolge des Zusammenbruchs des römischen Imperiums erfolgte Aufteilung zwischen West- und Ostrom nicht kennt, kann das Spannungsfeld zwischen den Überbleibseln des osmanischen Reichs und Europa oder das immer wieder rauchende Pulverfass ,West-Balkan’ nicht verstehen. Oder wer nie davon gehört hat, dass schon die ,alten Griechen’ mit Indien Handel getrieben haben, und dass die antike Stadt Palmyra eine wichtige Schaltstelle dieses Handels war, wird die 1’500 Jahre später erfolgte angebliche ,Entdeckung’ Indiens durch portugiesische Seefahrer nie richtig einordnen können.
- Das Buch verzichtet – meines Erachtens leider – vollständig darauf. den Einfluss der Antike auf unsere Sprache anzusprechen. Unsere heutige Sprache (nicht nur deutsch, sondern alle europäischen Sprachen) wimmeln nur so von Redewendungen, Sprichworten oder Volksweisheiten, die uns im Wesentlichen über das Latein, die Sprache der Römer, vererbt wurden. Nur schon die Volksweisheit «Eile mit Weile» wurde bereits von den Römern auf den Punkt «Festina lente» gebracht. Wer noch nie einen Augiasstall ausgemistet hat, versteht nicht, was eine Herkules-Aufgabe oder eine Sisyphusarbeit ist. Nur wer noch nie von «Si vis pacem, para bellum.» gehört hat, kann von «Frieden ohne Waffen» träumen. Nur wer «Quod licet Jovi, non licet bovi.» nicht kennt, schwärmt von antiautoritärer Erziehung. Und wer «Per aspera ad astra.» für ein Velo-Etappenrennen hält, käme natürlich nie auf die Idee, Latein zu erlernen, oder nur schon «Alle Wege führen nach Rom» zu lesen.
Das Buch müsste zur Pflichtlektüre aller Gymnasiasten erklärt werden