Allahs Narren – Wie der Islamismus die Welt erobert

Allahs Narren – Wie der Islamismus die Welt erobert
Boualem Sansal, 2014-09

Boualem Sansal (*1949) ist ein frankophoner algerischer Schriftsteller und 2011, dank seines mutigen Einsatzes für die freie Meinungsäusserung, mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden.

Er ist nicht einer der üblichen ‚Islam basher’, sondern selbst Muslim.

Unerbittlich geht er jedoch der Frage nach, warum der Islam, noch um das Jahr 1000 unserer Zeitrechnung eine Hochkultur und der europäischen Zivilisation weitgehend überlegen, urplötzlich erstarrte, rückständig wurde und in die Bedeutungslosigkeit versank. Den Hauptgrund dafür sieht Sansal in der rigiden Ablehnung der ‚ratio‘ und des gesamten Gedankenguts, das die europäische Zivilisation über die Aufklärung in die Moderne führte. Diese ablehnende Haltung ist gemäss Sansal innerhalb des Islamismus nach wie vor wirksam. Die verbindende Klammer der Islamisten sieht er in einer buchstabengetreuen loyalen Verehrung der geistigen Welt von Mohammed im 7. Jahrhundert.

Im Einzelnen behandelt Sansal folgende Aspekte:

  • Die Welt des Islam – ein Überblick

Eine sehr gute Zusammenstellung und Erläuterung der verschiedenen und teilweise feindseligen Strömungen und Sekten innerhalb des Islam.

  • Der Islamismus in der Welt – Bestandsaufnahme und Fragen

Eine sachliche, trotzdem eindringliche Schilderung der aktuellen Expansion des Islamismus, der Gründe und Implikationen.

  • Die treibenden Kräfte des Islamismus

Vermittelt einen guten Einblick in die radikalen religiösen Strömungen, die muslimischen Staaten, die intellektuellen Eliten und Universitäten (der arabischen Welt) und deren Medien, in die sogenannte ‚arabische Strasse‘ sowie die Immigration und das Scheitern der Integrationspolitik.

  • Suche nach Identität und Zukunft (zu verstehen als die ‚virtuelle arabische Welt‘)

Sansal analysiert die islamistische Identität als etwas, das alle anderen Identitäten auslöscht und gleichzeitig in sich selbst widersprüchlich ist; er analysiert die schleppende Entwicklung innerhalb des Islam und dessen übergrosse Ambitionen, den Rigorismus und verbissenen Nationalismus. Er schildert die Araber als ‚Allahs unermüdliche Kalifen und Missionare‘; abschliessend positioniert er die Frauen und die Jugend als ewige Geiseln des religiösen Systems.

  • Geschichte eines Missverständnisses: Die Islamismus-Politik des Westens – und die Folgen

Das Missverständnis sieht Sansal hauptsächlich darin, dass sowohl innerhalb des Islam als auch im Westen der Islamismus während langer Zeit unterschätzt wurde, und, nachdem er seine Fratze gezeigt hatte, frontal und kontraproduktiv bekämpft wurde. Damit bekam er die Helden und Märtyrer, die er braucht, um sich weiter auszubreiten.

Leider beantwortet Sansal seine abschliessende Frage nach den Folgen nicht wirklich. Seine Antwort besteht nämlich aus lauter weiteren Fragen, die er zurzeit alle als offen sieht. Er schliesst mit:

«Noch sind alle Fragen, alle Befürchtungen, alle Hoffnungen möglich.

Bislang hat man in der arabischen Welt die Islamisten immer nur in der Opposition erlebt, einer friedlichen oder bewaffneten Opposition. Nunmehr sind sie an der Macht. Für die ‚arabischen‘ Staaten fängt wahrlich eine neue Ära an. Vielleicht aber auch für die Welt.»

Das Fazit Sansals ist ernüchternd: Die Ausbreitung des Islamismus verläuft ungebremst weiter, weil innerhalb des Islam alle anderen Strömungen unterdrückt und ausgetrocknet werden, und weil es dem Westen an Mut fehlt, die Dinge beim Namen zu nennen, die Gefahr des Islamismus ernst zu nehmen, und auch an Einsicht, ihm in intelligenterer Form als unter dem Banner des ‚war on terrorism‘ dagegen anzutreten.

Bezeichnend ist ein Zitat von Albert Camus, das Sansal seinem Essay voranstellt: «Wer die Dinge beim falschen Namen nennt, trägt zum Unglück der Welt bei.»

Auszug aus Wikipedia (Stand 21.2.2014) über Sansal:

Sansal durchlief eine gymnasiale Ausbildung mit den Fächern Latein und Altgriechisch. In den 1970er Jahren studierte er Ingenieurswesen und Ökonomie und promovierte in Volkswirtschaftslehre. Ab 1992 arbeitete er als hochrangiger Beamter im algerischen Industrieministerium und veröffentlichte zwischen 1992 und 1994 zwei technische Fachbücher.

Erst 1999 erschien in Paris sein erster Roman Le serment des barbares (dt. Der Schwur der Barbaren), für den er zwei Auszeichnungen, den Prix Tropiques und den Prix du Premier Roman, erhielt. Bis 2006 folgten vier weitere Romane, die alle ins Deutsche übersetzt wurden, und 2003 das Journal intime et politique, Algérie 40 ans après (Persönliches und Politisches Tagebuch, Algerien, 40 Jahre danach). Nach der Veröffentlichung dieses Buches mit seiner Kritik an den algerischen Zuständen wurde Sansal im Industrie-Ministerium gekündigt.

Seit er ausschließlich als Schriftsteller tätig ist, beschäftigte sich Sansal zunehmend mit historischen Stoffen. So ist das 2007 in Paris erschienene Petit éloge de la mémoire ein episches Erzählwerk über die Epoche der Berber-Herrschaft. Der 2008 herausgekommene Roman Le village de l’allemand ou Le journal des frères Schiller (dt. Das Dorf des Deutschen) erzählt von der Beteiligung eines früheren deutschen Nazis an der Ausbildung der Befreiungsbewegung FLN im algerischen Unabhängigkeitskrieg und beschreibt die Auswirkungen des Bürgerkrieges der 1990er Jahre auf ein Dorf.

In der Debatte zu einem militärischen Eingreifen in den Bürgerkrieg in Libyen 2011 widersprach er Bernard-Henri Lévy. Dass die Verhinderung eines Massakers am libyschen Volk das Ziel des französischen Militäreinsatzes in Libyen sei, glaubte er „nicht wirklich“. Der Grund sei seiner Meinung nach, dass Sarkozy ein „Imageproblem in der arabischen Welt“ habe, weil sein Premierminister und seine Außenministerin sich Urlaube von Diktatoren finanzieren ließen und weil er selbst Mubarak und Gaddafi in Paris hofierte. Sarkozy versuche lediglich seine Glaubwürdigkeit wieder herzustellen. Sansal kritisierte die europäische Doppelmoral und meinte: „Es wäre großartig, wenn die arabische Revolution auch zu einer Revolution in Europa führen würde. Europa und seine Führer müssen sich eingestehen: Wir haben uns geirrt.“

Am 16. Oktober 2011 wurde Sansal mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Die Preisrede hielt Peter von Matt.

2012 wurde er in die Wettbewerbsjury der 62. Internationalen Filmfestspiele von Berlin berufen.

Sansal ist Muslim. Allerdings sieht er sich als säkular und hat wiederholt den Islamismus scharf kritisiert. Generell betrachtet er jede Form von Religion, besonders den Islam, kritisch: «Die Religion erscheint mir sehr gefährlich wegen ihrer brutalen, totalitären Seite. Der Islam ist ein furchteinflößendes Gesetz geworden, das nichts als Verbote ausspricht, den Zweifel verbannt und dessen Eiferer mehr und mehr gewalttätig sind. Er muss seine Spiritualität, seine wichtigste Kraft, wiederfinden. Man muss den Islam befreien, entkolonisieren, sozialisieren.» Er lebt heute mit seiner Frau und zwei erwachsenen Töchtern in Boumerdès bei Algier.