A Delicate Truth

A Delicate Truth
John Le Carré, 2014-07

Ich habe in den letzten rund 15 Jahren keinen le Carré mehr gelesen; ich weiss nicht einmal, ob seine Produktion weiterlief und was er publiziert haben könnte. Sein neustes Werk erinnert mich vom Stil her sehr an seine früheren Thriller. Es geht aber nicht mehr um Spionage, kalten Krieg und ähnliche Obsoletheiten. Sondern im weitesten Sinn um den «WOT» (war on terror).

Ein Diplomat des britischen FO (Foreign Office), ein viel versprechender junger Kadermann des FO, und mehrere loyale Soldaten der britischen Armee werden in eine Aktion verwickelt, die von obskuren Geheimdienstleuten, ‚freelance‘-Söldnern, Waffenhändlern und amerikanischen Geheimdiensten organisiert wird. Es geht um die Entführung eines Waffenhändlers, der terroristische Netzwerke unterstützt. Die Aktion wird ein Rohrkrepierer, aber vertuscht. Drei Jahre erfährt der inzwischen pensionierte ex-Diplomat von einem damals beteiligten Soldaten, dass die Aktion nicht etwa, wie seinerzeit behauptet, ein Erfolg war, sondern ein totales Fiasko; nicht nur konnte der Gesuchte nicht entführt werden, eine junge Frau und ihr Säugling wurden erschossen.

Jetzt regt sich das Gewissen des ex-Diplomaten. Bei seinen Recherchen, was wirklich geschah, wird er schockiert, weil der Soldat getötet wird. Offiziell ist es Selbstmord eines depressiven Menschen; alle Indizien deuten jedoch auf kaltblütigen Mord.

Der Roman ist, kurz gesagt, die Geschichte von Menschen, die noch ein Gewissen haben und diesem folgen wollen, die jedoch von anderen Menschen bedroht, bedrängt und bekämpft werden, die kein Gewissen haben, sondern rein opportunistisch ihren individuellen Interessen nachgehen.

Das Buch ist im ‚klassischen‘ Sinn ein echter le Carré; es verknüpft in einer kunstvoll inszenierten Geschichte Menschen mit zwischenmenschlichen Gefühlen, Empathie und Sinn für Rechtsstaatlichkeit, Verantwortung und Rechenschaftspflicht mit solchen, die skrupellos nur ihren persönlichen Interessen nachgehen und dabei – sprichwörtlich – über Leichen gehen. Ausserdem schlachtet le Carré auch in diesem Roman die kräftigsten Clichés der englischen Gesellschaftsordnung satirisch und genüsslich aus und bereitet damit Leserinnen und Lesern genussvolle Aha-Erlebnisse und Bestätigungen kunstvoll gepflegter Vorurteile.

Insgesamt stimmt das Buch auch etwas nachdenklich: Kann es sein, dass es in einer europäischen Demokratie wie England derartige klandestine, konspirative Aktionen, Vertuschungen und ‚Staatsmorde‘ gibt, wie sie le Carré beschreibt? Persönlich habe ich da meine Zweifel (wishful thinking?), obwohl dem Autor im Allgemeinen zugutegehalten wird, extrem seriös zu recherchieren. «A Delicate Truth» macht den Eindruck, dass seine Fantasie zu weit geht – die Geschichte hat für mich keine grosse Glaubwürdigkeit. Augen zu: alleweil a good read!.

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