
Der Autor, *1964, ist Ethnologe, Journalist (Weltwoche, NZZaS, NZZ) und Schriftsteller.
Signers kleines «Brevier» (93 Seiten in Sub-A6-Format) tritt auf als «Ein Aufruf gegen die Entmündigung». Der Untertitel ist adäquater als das reisserische ’Weniger Verbote’ im Titel, denn es geht Signer viel mehr um die Überwindung von impliziten Ver- und Geboten und deren gesellschaftlichen Konsequenzen, die durch den zeitgenössischen Mainstream, insbesondere die PC (political correctness) gesetzt sind.
Eigentliche Verbote spielen eine sehr kleine Rolle. Das Buch ist vielmehr ein Plädoyer für Grenzüberschreitung als Voraussetzung von Kultur – und mit diesem Anliegen mehr als berechtigt und überfällig.
Meines Erachtens tut jedoch Signer seinem Anliegen keinen grossen Gefallen, wenn er banale Dinge wie das Rauchen oder die Organisation von unbewilligten Demonstrationen am Zürcher Bellevue und das dadurch provozierte Herumkrawallieren mit der Polizei als Kronzeugen für seine These beschwört. Wenn schon Grenzüberschreitung: der Unterschied zwischen dem Versuch, den fotografischen Wahrheitsanspruch der Malerei durch die Suche nach freieren Ausdrucksformen oder die Suche nach dem Higgs-Teilchen einerseits und dem Verstoss gegen die Bewilligungspflicht für Demonstrationen oder der Unverfrorenheit, Mitmenschen auf der – vermeintlichen – Grundlage der Selbstverwirklichung unbegrenzt mit Rauch oder Lärm zuzumüllen, dieser Unterschied sollte auch für noch nicht ‚entmündigte’ Zeitgenossen erkennbar und respektierbar sein.
Trotzdem: eine vergnügliche und anregende Lektüre.
PS:Dass ein Schweizer Autor in einem Buch, das in einem deutschen Verlag publiziert, das ‚ß’ zulässt, geht ja gerade noch. Aber dass es ‚die’ Tram heissen muss, das tut weh!