
Schmidt-Salomon seziert in seiner Streitschrift den ‚homo sapiens’ und reduziert ihn auf ein ignorantes, trotz besserem Wissen immer wieder gegen seine langfristigen Interessen handelndes Wesen, das er ‚homo demens’ nennt. Er behandelt die endemische menschliche Dummheit unter folgenden Aspekten, wobei er eine Wortschöpfung verwendet, die den thematischen Aspekt, z.B. ‚Religion’ mit dem Suffix ‚Idiotie’ kombiniert: Religiotie, Ökonomiotie, Politiotie, Ökologiotie, Pädagogiotie (es versteht sich, dass die Anhänger der einzelnen Idiotien konsequenterweise dann Religioten, Ökonomioten, Politioten, usw. sein müssen).
Ich bin von der Streitschrift gleichzeitig be- und entgeistert; begeistert, weil es Michael Schmidt-Salomon glänzend versteht, die Dummheit unserer Spezies «homo demens» überzeugend und mit sarkastischem Humor dar- und blosszustellen; entgeistert bin ich, weil mir die aggregierte Dummheit der Menschheit noch nie in einer so dichten und geballten Ladung entgegengetreten ist; es ist einfach nicht zu glauben, dass «die Krone der Schöpfung» so ‚dooof‘ sein kann, und (fast) keiner will es sehen oder wahrhaben. Das Buch führt auf direktem Weg in den Misanthropismus.
Die Art und Weise, wie Schmidt-Salomon die Hirnlosigkeit des Konstrukts ‚Religion’ und deren Deutungshohepriester (am Beispiel von Christentum, Judentum und Islam) entlarvt, ist sicher ätzend, aber kaum widerlegbar. Allerdings ignoriert die radikale und fundamental(istisch)e Religionskritik völlig, dass differenziert werden sollte zwischen Religion als Sinnstiftung, Trägerin von Spiritualität, Trost und Transzendenz, von ‚theologischer’ Deutungshoheit einerseits, und Religion als ‚Firma’ – mit starken Eigeninteressen und Tätigkeiten, die mit dem religiösen Kern wenig bis nichts zu tun hat. Dabei wären sowohl die Verbandelung von Religion und weltlicher Macht als auch die von Kultur zu Kultur unterschiedlichen Rollen von Kirchen oder Religionen im sozialen oder kulturellen Bereich zu beachten.
Anderseits ist das Kapitel „Schwarmdummheit“ (Wie Ökonomioten die Welt zugrunde richten) schwach; bei aller sarkastischen Formulierungskunst beruht der ‚Nachweis’ der Theorie, dass die Ökonomie des Teufels sei, auf Verfolgungswahn und ökonomischer Ignoranz. Sicher ist die Feststellung, dass auch in der Ökonomie Idioten gibt, nicht allzu gewagt. Aber allen ökonomischen Unsinn den Ökonomen anzulasten, und die Politik, die ja ständig in das ökonomische Geschehen hineinpfuscht, zu schonen, überzeugt überhaupt nicht. Ausserdem ist es unlogisch und in sich selbst widersprüchlich, den Menschen insgesamt als „homo demens“ darzustellen, dann aber zu behaupten, ausgerechnet die (Finanz)Ökonomen und Finanzakrobaten seien so klug, dass sie – von allen anderen Menschen unbemerkt – ein System etablieren konnten, mit dem sie sich zulasten aller anderen Menschen stetig bereichern. Schmidt-Salomon macht es sich zu einfach, wenn er – fraglos vorkommende – (finanz)ökonomische Exzesse zum Prinzip der Wirtschaft macht und dann tapfer auf die Scheibe schiesst, die er selbst aufgestellt hat. Wenn es wirklich so einfach wäre… hätten wir wohl nicht auf Schmidt-Salomons weise Einsichten warten müssen.
Der Verfasser will letztlich die Geldwirtschaft abschaffen; zumindest strebt er eine Geldwirtschaft an, in der nur Nominalwerte zählen, und ausschliesslich in reinen Austauschbeziehungen. Das alles will nicht einleuchten. Auch die polemische Polarisierung zwischen ‚realer’ Wirtschaftsleistung (gut!) und ‚fiktiver’, d.h. mit der Ware Geld erbrachter Wirtschaftsleistung (schlecht!) ist ziemlich dümmlich und biertischig und läuft in letzter Konsequenz daraus hinaus, dem tertiären Sektor insgesamt (da letztlich ‚fiktiv’) die Existenzberechtigung abzusprechen.
Insgesamt aber ist die gerade mal 110 Seiten lange (ohne Fussnoten) Streitschrift «Keine Macht den Doofen» ein Buch, dass vergnüglich zu lesen ist und zum Nachdenken anregt. Die Tatsache, dass es keine Lösung oder Anleitung, sondern nur «fromme Wünsche» dafür bereit hält, wie die Macht der Doofen gebrochen werden könnte, stimmt nachdenklich, und erinnert an die Sicht, dass auch die Spezies ‚homo sapiens’ ein Organismus ist, der den Gesetzen der Lebenskurve ausgesetzt ist und eines Tages untergehen wird. Offen bleibt die Frage, an welchem Punkt der Lebenskurve die Menschheit angelangt ist.
Ganz zum Schluss präsentiert Schmidt-Salomon immerhin doch einen Lichtblick: Er weist darauf hin, dass es bei der Verbesserung der Chancen der Menschheit nicht um die Wahl zwischen ‚Gut’ und ‚Böse’, geht, sondern um die Wahl zwischen ‚klug’ und ‚blöd’, also zwischen ‚Klugheit’ und ‚Dummheit’. Gefragt ist also nicht moralische Empörung, sondern kulturelle Entblödung. Für ihn gilt anstatt von «Empört Euch!» das Motto «Entblödet Euch!».