
(2019, Winner of the Wolfson History Price)
David Abulafia ist emeritierter Professor der Mittelmeer-Geschichte der University of Cambridge. Zu seinen bekannten und in zahlreiche Sprachen übersetzten Büchern gehört «The Great Sea: a Human History of the Mediterranian». Das ist der Grund, warum im aktuellen «The Boundless Sea» der Mittelmeerraum nur kursorisch behandelt wird.
Das monumentale Buch (Penguin Books Taschenbuchausgabe 2020) umfasst rund 1050 Seiten. Der Titel «A Human History of the Oceans» umschreibt den Inhalt etwas missverständlich; denn das Buch behandelt die Rolle der Meere in der Herstellung von Verbindungen zwischen verschiedenen menschlichen Gesellschaften, letztlich also die Geschichte der Entstehung von Zivilisationen. Es ist in folgende Teile oder ozeanische Bereichte gegliedert:
- Teil 1: The Oldest Ocean, The Pacific; 176’000 BC bis AD 1350 (ich übernehme die Nomenklatur des Autors)
- Teil 2: The Middle Ocean: The Indian Ocean and its Neighbours, 4’500 BC bis AD 1’500
- Teil 3: The Young Ocean: The Atlantic, 22’000 BC bis AD 1’500
- Teil 4: Oceans in Conversation, AD 1’492 bis 1’900
- Teil 5: The Oceans Contained, AD 1’850 bis 2’000
Es empfiehlt sich, zuerst das Preface und die Note on Transliteration and Dating zu lesen.
Anschliessend können die einzelnen Teile unabhängig voneinander in beliebiger Reihenfolge bearbeitet werden. Ja – ,bearbeitet’, denn die Lektüre ist, obwohl abwechslungsreich, spannend und auch unterhaltend, in der Tat mit Mitdenk-Arbeit verbunden. Es lohnt sich, die umfassenden Forschungsergebnisse, die Abulafia präsentiert, immer wieder in Zusammenhang zu stellen mit dem, was ein durchschnittlich gebildeter Europäer aus seinem Geschichtsunterricht mitgenommen hat, und erst recht mit dem, was die Meere mit der Herstellung von Verbindungen zwischen verschiedenen menschlichen Gesellschaften bis heute an kulturellen, wirtschaftlichen und zivilisatorischen Leistungen hervorgebracht haben.
Es ist allerdings fast unmöglich, das Buch ,in einem Zug’ zu lesen. Die Fülle des Materials, die ständigen Überraschungen und neuen Erkenntnisse über das, was die Menschen schon vor Tausenden von Jahren geleistet haben, erschlägt einen. Sie macht einem aber auch bewusst, dass die Triebfeder, welche die Menschen seit je angetrieben hat, aufzubrechen, Neuland zu entdecken, ,sich die Welt untertan zu machen’, eine Kraft ist, welche der Spezies Mensch eigen ist, und welche die Welt wesentlich stärker verändert hat als alle modern-zeitgeistigen ,Schuldigen’ wie Gier, Kapitalismus, Globalisierung, Privateigentum, Technologie-Einsatz, Streben nach Wohlstand, oder Genügsamkeit.
Wenn man liest, wie bereits die ,alten Römer’ vor über 2’000 Jahren Handel mit Asien betrieben, also lange vor der Seidenstrasse, kann man nur lachen, wenn man heute aus allen Windrichtungen eingetrichtert bekommt, Globalisierug sei des Teufels und eine Ausgeburt des Kapitalismus.
Die Geschichte, die Abulafia in diesem Buch ausbreitet, ist ergebnisoffen; sie erzeugt – in Anbetracht des Gegensatzes zwischen den Leistungen der Neuzeit und Gegenwart, die von überheblichen politischen Eliten als Ergebnis ihrer eigenen Anstrengungen und als Schritte auf dem Weg ins Paradies für alle angepriesen und beansprucht werden auf der einen Seite, und den auf unendlicher Neugier, Unternehmungslust und Phantasie sowie grenzenloser Beharrlichkeit und Ausdauer beruhenden Leistungen unserer Vorfahren, welche die menschlichen Zivilisationen entlang, mit und im Widerstand gegen die «Sea» entwickelt und vorangebracht haben, auf der anderen Seite – Demut, Ehrfurcht und Bescheidenheit.
Es erscheint mir unmöglich, eine inhaltliche Zusammenfassung der «Boundless Sea» zu erstellen; zu dicht und umfangreich ist das Material, das Abulafia zusammengetragen hat. Deshalb postuliere ich:
«The Boundless Sea» ist ein MUST READ!