
Aus dem Vorwort von Kip S. Thorne (ein Wissenschaftskollege und Freund von Stephen Hawking), Seite XXIII, englischsprachige Taschenbuchausgabe, 2018, John Murray (Publishers):
«Das Buch ist eine Sammlung von Hawkings Antworten auf die sogenannten ,grossen Fragen’, mit denen er sich sein ganzes Leben lang beschäftigte, bis zum Zeitpunkt seines Todes.
Stephens Antworten auf sechs dieser Fragen wurzeln tief in seinem wissenschaftlichen Kerngebiet (Gibt es einen Gott? Wie begann alles? Können wir die Zukunft vorhersagen? Was befindet sich im Innern eines Schwarzen Lochs? Sind Zeitreisen möglich?Wie gestalten wir die Zukunft?). Hier begegnet man ihm, während er die Probleme in aller Tiefe diskutiert, die ich im Vorwort angesprochen habe, und noch viel, viel mehr.
Seine Antworten auf die andern vier ,grossen Fragen’ können nicht wirklich auf soliden wissenschaftlichen Grundlagen basieren (Werden wir auf dieser Erde überleben? Gibt es im Universum anderes intelligentes Leben? Sollen wir den Weltraum kolonisieren? Kann künstliche Intelligenz klüger werden als wir Menschen?). Trotzdem, seine Antworten beweisen seine grosse Weisheit und Kreativität, was wir auch erwarten dürfen.
Ich hoffe, Sie finden seine Antworten genau so stimulierend und voller Einsichten wie ich. Geniessen Sie’s!
Für mich hat sich dieser Wunsch erfüllt. Das Buch ist in der Tat ein Genuss und ein Gewinn. Für mich stehen – abgesehen vom reichen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn – zwei Aspekte im Vordergrund:
- Hawking schreibt eine Sprache, die trotz der höchsten Ansprüche, welche die behandelten wissenschaftlichen Themen an Leserinnen und Leser stellen, die verblüffend klar, lesbar und verständlich und darüber hinaus voller Humor und bescheidener Selbstironie ist. Es wäre schön, wenn alle wissenschaftlichen Publikationen, vor allem auch im geisteswissenschaftlichen Kontext, sich dieses Werk zum sprachlichen Vorbild nehmen würden.
- Hawkings Buch ist auch ein lebendiges Vorbild dafür, wie ein Mensch mit einer kaum vorstellbar schwierigen Krankheit und riesigen körperlichen Einschränkungen umgehen kann. Die Tatsache, dass Hawking trotz seiner Krankheit den unbeugsamen Willen und die nie erlahmende Kraft aufbrachte, einer der gefragtesten Wissenschaftler des 20. und des frühen 21. Jahrhunderts wurde, ist bewundernswert. Erst recht, wenn er selbst in beinahe kokettierender Art und Weise darauf hinweist, dass ihm seine Krankheit nichts anderes ermöglichte als theoretische Physik zu betreiben, weil er auf allen anderen Gebieten überfordert gewesen wäre.
Hawkings Leben und Forschen zeigt auch, dass stets aktive Neugier und Entdeckerlust notwendige Voraussetzung für einerseits Fortschritt und Erkenntnisgewinn in der Wissenschaft und anderseits auch für einen lebendigen und kreativen Geist des handelnden Menschen sind. Das Buch sollte Pflichtlektüre für alle jungen Menschen sein.
Zu den wissenschaftlichen Ausführungen Hawkings will ich mich nicht im Einzelnen äussern. Sein Text ist bereits so dicht und knapp, dass eine verkürzte Darstellung gegen Einsteins Gebot verstossen würde: «Things should be made as simple as possible, but not simpler.»
Ich erlaube mir nur folgende Hinweise:
- Dank Hawking weiss ich jetzt annähernd, was ein Schwarzes Loch ist.
- Hawking hat mich dem Verständnis von Gravitation, Raum-Zeit-Krümmung, 11-dimensionalen Räumen ein paar My nähergebracht. Ich könnte versucht sein, wenn ich nochmals jung wäre, eine Laufbahn als Physiker in Betracht zu ziehen.
- Einige von Hawkings Antworten überzeugen mich nicht.
- Hawkings Antwort auf die Frage «Gibt es einen Gott?» ist – etwas verkürzt: Um unsere Welt zu verstehen, wie sie entstanden ist, wie sie funktioniert, benötigen wir keinen Gott; die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse sind plausibel und gültig, ohne dass dafür eine ,höhere’ Instanz erforderlich ist.Mir genügt diese Antwort. Aber, ist das wirklich alles? Hawking geht mit keinem Wort darauf ein, dass zahllose Menschen aus allen Kulturkreisen und Zivilisationsepochen ein tiefes Bedürfnis nach Transzendenz haben, und dass für diese seine Antwort wohl nicht genügt. Insofern ist Hawkings Antwort auf die Gott-Frage wohl ,brief’, aber kaum vollständig. Ich erinnere an Brechts Herrn K., der die Gottfrage beantwortet mit: «Wer die Frage stellt, braucht einen.»
- Dazu gehört auch seine Theorie, dass den Menschen nichts anders übrigbleibt, als den Weltraum zu erobern, nachdem sie es fertiggebracht haben, die Lebensbedingungen auf dem Planeten Erde zu zerstören. Es will mir nicht einleuchten, dass die Menschen dann plötzlich so klug werden, dass sie ihre neuen Kolonien irgendwo im Weltraum nicht auch wieder zerstören. Die Frage – und Hawkings Antwort – impliziert, dass unsere Spezies nicht dem Grundprinzip jeder biologischen Entwicklung, dem Zyklus von Werden – Sein – Vergehen unterworfen ist. Das erscheint mir sowohl unplausibel als auch typisch anthropozentrisch anmassend.Ich bin ausserdem sehr skeptisch, ob die Frage nach der Notwendigkeit, den Weltraum zu besiedeln, wirklich eine grosse Frage ist. Die grosse Mehrheit der Menschen hat jedenfalls ganz andere Sorgen
- Seine Begeisterung für künstliche Intelligenz kann ich nicht teilen. Er selbst weist mehrmals darauf hin, dass wir noch nicht wissen, was Bewusstsein ist; oder dass wir noch keine Erklärung dafür haben, weshalb Menschen, deren biologisches Gehirn in etwa gleich funktioniert wie das eines Regenwurms, es in Bezug auf Erkenntnisse über uns selbst oder über das Universum so weit gebracht haben. Mir scheint, dass Hypothesen, diese Menschen könnten, trotz fundamentalen Nichtwissens, künstliche Intelligenzen bauen, die den Menschen überlegen sind und selbst wiederum Maschinen bauen könnten, die ihnen selbst überlegen sind, eher Hype sind als wissenschaftlich fundierte Prognosen – auch wenn sie von Hawking aufgestellt werden.
- Ich vermisse bei Hawking auch Gedanken, die bei der Evolution ansetzen. Aus der Evolution wissen wir, dass alle Spezies, die es bisher gab, eine Lebenskurve haben, die irgendwann beginnt und auch wieder aufhört (ein Zyklus von Werden – Sein – Vergehen). Seine Antworten auf die ,grossen Fragen’ implizieren, dass die Spezies Mensch dazu berufen ist, ,ewig’ zu leben. Und das ist für mich sehr fraglich.
Das mögen ketzerische Gedanken eines Laien sein. Das Buch ist trotzdem, oder erst recht, weil Hawking damit Perspektiven auf intellektuelle ,terra incognita’ eröffnet, unbedingt lesenswert.