Flashman

Flashman
George MacDonald Fraser, 2021-11

Wer den unrühmlich und kopflos beendeten Afghanistan-Krieg von NATO und USA verstehen will, muss Flashman lesen. Für mich war nach der ersten Lektüre dieses Romans (erschienen 1969) in den 1970er Jahren bereits klar, dass die Afghanistan-Invasion der Sowjets (1979 –1989) mit einem Fiasko enden würde. Der gleiche Eindruck entstand kurz nach der Post-9/11-US-Besetzung und -Vertreibung der Taliban und der Al-Kaida.

Flashman ist der erste Band einer Serie von Romanen, in denen George MacDonald Fraser die Geschichte dieses flamboyanten, irrlichternden, opportunistischen, persönlich gewinnenden und charakterlich lumpigen Quasi-Helden der viktorianischen Epoche im 19. Jahrhundert erzählt. Grundlage für die Romane sind fiktive Aufzeichnungen Flashmans, als deren Entdecker und Herausgeber sich Fraser ausgibt. Die historischen Ereignisse, um die Fraser seine fantasievollen Geschichten rankt, entsprechen den historischen Fakten; die meisten der handelnden Personen sind authentisch, nur Flashman selbst, seine Verwicklungen in die historischen Ereignisse und seine zahllosen gesellschaftlichen und amourösen Beziehungen hat Fraser frei erfunden.

Fraser schildert die viktorianische Zeit und die Blütezeit des britischen Empires aus der Sicht und in der Sprache des Zeitgenossen Flashman, mit allen politischen Unkorrektheiten und Verstössen gegen heutige gesellschaftliche und Gender-bezogene Gerechtigkeitsvorstellungen, die man sich vorstellen kann. Die Wirkung dieser Weltsicht wird teilweise verstärkt, teilweise aber auch gedämpft durch den sprichwörtlichen, manchmal brutal sarkastischen englischen Humor und die ebenso tief verwurzelte Neigung der Engländer zur Selbstironie. Leserinnen oder Leser mit dünner Haut sollten von der Flashman- oder generell Fraser-Lektüre absehen. Wer das alles aushält, kann eine anregende, spritzige und äusserst amüsante Lektüre geniessen, die einen unverfälscht-originellen Einblick in eine Epoche bietet, den kein Geschichtsunterricht zu leisten vermöchte.

Harry Flashman entstammt einer reichen englischen Oberschichtfamilie, wird wegen Sauferei aus dem Nobel-Internat Rugby geworfen, beginnt dank dem Geld seines Vaters eine Offizierskarriere in der englischen Kavallerie und wird im Gefolge eines von ihm manipulierten Duells strafweise nach Indien versetzt. Dort gerät er 1842 in den ersten Krieg, den England, beziehungsweise dessen spätere Kron-Kolonie und das viktorianische Kaiserreich Britisch-Indien, in und gegen Afghanistan führt.

Warum erklärt die Flashman-Story den Afghanistan-Konflikt?

PS:

In den weiteren Folgen der Flashman-Serie bewegt sich Flashman auf allen wichtigen Schauplätzen, welche die Entwicklung des britischen Empire und der westlichen Welt im 19. Jahrhundert prägen; dazu gehören weitere Kriegseinsätze in Indien, der Krimkrieg, die vollständige Einverleibung Südafrikas, der US-Bürgerkrieg, die Entstehung des deutschen Kaiserreichs, etc.; Historiker mögen mir das verzeihen – oder auch nicht: für mich ist die Flashman-Serie nachgeholter Geschichtsunterricht ,at its best’.

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