Jena 1800 – Die Republik der freien Geister

Jena 1800 – Die Republik der freien Geister
Peter Neumann, 2019-03

Ein schwieriges Buch – und ein noch schwierigeres Thema. Der deutsche Idealismus ist mir und bleibt mir auch nach der Lektüre fremd. Auf das Risiko hin, Schubladendenken zu praktizieren, oder gar schon fast rassistischem Gedankengut zu frönen: das Buch hat meine vorbestehende Meinung (d.h. mein Vorurteil), dass das Gedankengut des deutschen Idealismus nur in Deutschland entwickelt werden konnte, bestätigt. Fichte, Schlegel, Hegel, Schelling, und wie sie sonst noch heissen mögen, beschäftigen sich mit philosophischen Fragen, die mir unwillkürlich wie mittelalterliche Dispute über die Frage, wie viele Engel auf einer Nadelspitze Platz finden, vorkommen. Es sind Fragen, die von niemandem rational beantwortet werden können, und deshalb sind die Philosophen des deutschen Idealismus für mich auch gar keine Philosophen. Sie behandeln vielmehr abgehobene, esoterische und letztlich ideologische Fragen, die weder auf Empirie noch auf logischen Konzeptionen basieren. Die Lektüre hat meinen Eindruck bestärkt, dass eine solche ‚(Denk)Schule‘ nur in Deutschland entstehen und sogar noch gewürdigt werden konnte. Die Deutschen bringen es immer wieder fertig, Dinge oder Fragen, die irrelevant sind, so kompliziert wie möglich anzugehen.

Dabei wäre es doch ganz einfach: Fragen, die aus ihrer Natur heraus niemand rational beantworten kann, stellt man nicht – und noch weniger Fragen, deren Beantwortung in dem Sinne irrelevant ist, als sie keinen Einfluss auf die Lebensgestaltung haben können. Der ganze Komplex, um den der deutsche Idealismus kreist, nämlich die Frage, ob unser Bild von der Welt eine reine geistige Vorstellung ist, oder ob das, was wir sehen und (vermeintlich) anfassen können, real existiert, oder nur in unserer Vorstellung, gehört für mich zur Wissenschaft der Irrelevanz.

Immerhin, das Buch gewährt einen Einblick in die Psyche und das für die Periode durchaus exzentrische Leben der deutschen Idealisten. Leider erwähnt der Autor nicht, wieviel Fantasie und schriftstellerische Freiheit zum Tragen kommt, beziehungsweise wo die Grenze zwischen Fact und Fiction ist. Er erschwert ausserdem die Lektüre unnötigerweise, indem er unmögliche Zeitsprünge macht, und indem er die personae dramatis meist nur per Vornamen nennt, und dann noch die intimere Form (z.B. Fritz) der ‚offiziellen‘ vorzieht. Falls er damit einfach quasi lautmalerisch sagen will, dass er mit seinen Helden sehr vertraut ist, eben ‚auf Du‘, begeht er die Todsünde, die in deutschen Erzählungen oder Filmen immer wieder fröhliche Urstände feiert, nämlich mit dem Brecheisen zu arbeiten. Die Tatsache, dass ein Autor mit seinem Thema vertraut ist, sollte für sich selbst sprechen und nicht auf solche Mätzchen angewiesen sein.

Der zweite Teil des Titels «Die Republik der freien Geister» wird seinem Anspruch keineswegs gerecht. Erstens existiert in der fraglichen Zeit in Jena keine Republik, und zweitens sind die Philosophen des deutschen Idealismus alles andere als frei; sie sind vielmehr vom Wohlgefallen ihrer Gönner und Fürsten abhängig und betreiben entsprechend sehr viel Heimlichtuerei und Selbstzensur. Indem sie mit Begeisterung die Französische Revolution hochlobten und begrüssten, sind sie auch Vorläufer der heutigen intellektuellen Eliten, die meist völlig unreflektiert und unkritisch Despoten von Castro bis Putin verehren.

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