Was man von hier aus sehen kann

Was man von hier aus sehen kann
Mariana Leky, 2018-08

Der Aufhänger des Romans ist Selma, eine Frau, die manchmal von einem Okapi träumt, und dann behauptet, am nächsten Tag müsse im Dorf jemand sterben. Das ist originell, ausgefallen, rätselhaft, und es animiert zum Weiterlesen; allerdings gelingt es der Autorin nicht, dieses Niveau an Kreativität und Originalität aufrecht zu halten.

Im Zentrum des Romans steht die ‚coming-of-age’-Geschichte einer jungen Frau, beziehungsweise deren Entwicklung von einem 10-jährigen Mädchen zu einer 35-jährigen erwachsenen Frau; es ist die Emanzipation eines Menschen von einer Person, der die Geschehnisse einfach passieren, bei der sich alles ergibt, zu einer jungen Frau, die ihr Leben in die eigenen Hände nimmt und selbst gestaltet. Die Geschichte zeigt, wie schwierig es ist, zu sich selbst zu finden und erwachsen zu werden, und sich gleichzeitig noch eine gesunde Portion von Kindlichkeit zu erhalten; sie zeigt auch, dass es sehr viele verschiedene Wege gibt, die zu diesem Ziel führen, und dass zu diesen Wegen auch viele Sackgassen und Umwege gehören.

Im ganzen Roman gibt es keine Jahreszahlen – er hängt also zeitmässig etwas in der Luft. Der einzige Hinweis, den ich gefunden habe, um die Periode, in der er spielt, etwas einzugrenzen, ist das Detail, dass in der Kindheit dieser Frau die Umstellung der Telefon-Wählscheibe auf die Tastatur erfolgt; also liegt der Beginn des Romans ungefähr in den 1960-er Jahren.

Die Geschichte spielt in einem Dorf – ein richtiges Kaff, in dem noch jeder jeden kennt – im Westerwald (eine hügelige und bewaldete Gegend nordöstlich von Koblenz). Er spielt in der Langsamkeit, welche einer solchen Gegend angemessen ist, was die Lektüre jedoch zeitweise etwas anstrengend und langweilig macht. Wer ‚action‘ sucht, ist bei diesem Bach falsch positioniert.

Das Mädchen, beziehungsweise die junge Frau, ist in der ersten Romanhälfte namenlos, erst etwa ab Mitte des Romans erfährt man, dass sie Luise heisst. Die Protagonisten um Luise herum sind Selma, ihre Grossmutter und wichtigste Bezugsperson; der ebenfalls namenlose Optiker, der Selma seit dem frühen Tod Heinrich (Selmas Mann) liebt und verehrt, allerdings ohne den Mut, es ihr zu sagen (er gehört ebenfalls zur Gruppe von Menschen, die sich damit zufrieden gibt, dass sich die Dinge halt ergeben); Martin, der Sohn des Bauern und gewalttätigen Säufers Palm, der als 10-jähriger Bub vor den Augen Selmas wegen einer nicht geschlossenen Tür des Zugs, der die beiden zur Schule fährt, ums Leben kommt; Astrid, die Mutter von Luise, und ihr Freund (auch sie gehört zu den ‚sich ergebenden‘ Geduldslämmern), und Peter, der Vater von Luise, der seine Arztpraxis aufgibt, um den Rest seines Lebens auf Weltreisen zu verbringen; und Frederick, der junge, nach Japan ausgewanderte und zum Buddhismus konvertierte Deutsche, der als geheimnisvoller buddhistischer Mönch wie ein ‚deus ex machina‘ in Luises Leben eintritt und sie als Person von Grund auf verändert.

Die Geschichte ist phantasievoll, manchmal allerdings auch sehr unglaubwürdig. Sie fluktuiert zwischen anregender Lebensphilosophie und Banalitäten, die man in der bunten Presse findet, und zwischen grossen Gefühlen und Kitsch.

Der Klappentext sagt: «Wie Innigkeit gelingen kann zwischen den Menschen – gegen viele Widerstände, Zeitverschiebungen und Unwägbarkeiten – zeigt dieses ebenso kluge wie zartfühlende Buch. Mariana Leky ist eine Meisterin der genauen Beobachtung und des lakonischen Tons. Mit diesem Roman beweist sie erneut, dass sie zu den kraftvollsten, den unverwechselbaren Stimmen der deutschen Literatur gehört.»

Das ist sehr dick aufgetragen und übertrieben.

Trotz allem: eine entspannende, entschleunigende und anregende Rehabilitationslektüre.

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