
Lewinsky schreibt flüssig, kumpelhaft und süffig, aber zeitweise etwas anbiedernd. Allerdings pflegt er eine Marotte, die ermüdet und langweilt. Sie besteht darin, dass er seinen ‚Helden’, Kurt Weilemann, permanent zwischen der eigentlichen Handlung und der Metaebene hin und her springen lässt. Wenn er etwas sagt oder tut, läuft in seinem Hirn gleichzeitig eine Überlegung mit, die kritisch überprüft, ob seine Worte oder Taten ‚passend’ sind oder seinen Vorstellungen von Stil und rationaler Qualität entsprechen. Das ist manchmal durchaus interessant, lustig oder anregend; gleichzeitig wertet es die Intelligenz von Lesern und Leserinnen ab, denn meistens wären die sehr wohl in der Lage, sich auf das, was passiert oder gesagt wird, ihren eigenen Vers zu machen. Und manchmal sind diese Meta-Blasen schlichtweg überflüssig oder trivial.
Die ganze Geschichte spielt sich in und um Zürich herum ab; sie bietet viel Lokalkolorit. Leserinnen und Leser, die in Zürich wohnen, sind natürlich mit allen Schauplätzen vertraut. Das gibt dieser Kundengruppe ein von Lewinsky gut ‚möbliertes’ vertrautes, sogar heimeliges Gefühl. Es ist jedoch fraglich, ob Leserinnen und Leser, die mit Zürich nicht vertraut sind, die Geschichte wirklich verstehen und richtig einschätzen können.
Der Plot des Romans ist sowohl ansprechend provokativ, aber auf den zweiten Blick auch dümmlich und unglaubwürdig. Lewinsky platziert die Geschichte in einer nicht näher definierten Zukunft, in der die Schweiz auf allen politischen Ebenen von den Schweizer Demokraten mit absoluten Mehrheiten beherrscht wird. Im Bundesrat beispielsweise sitzen sechs Mitglieder dieser Partei; der Sozialdemokrat, den sie ‚gnadenhalber’ auf den siebten Sitz wählen, lehnt das Amt aus Protest ab, oder tritt es schon gar nicht an. Die Schweizer Demokraten vertreten eine Politik, die ein Zerrbild der SVP verkörpert. Man kann ja viel gegen die Politik der SVP haben, aber die Annahme, dass sie einmal in allen politischen Gremien der Schweiz eine absolute Mehrheit erringt und ‚sanft’ diktatorisch regiert, ist so abstrus, dass sie selbst die wildeste Vorstellungskraft aller denkenden Bürger sprengt.
Vor diesem Hintergrund stösst Weilemann, also der Held des Romans, zufällig auf eine von einem Journalistenkollegen entdeckte Geschichte, die allerdings weitgehend ohne diesen Hintergrund auskommt. Am Anfang steht der Tod eines pensionierten Journalisten, der von der Polizei sehr schnell als Selbstmord qualifiziert wird, obwohl die Umstände dies ganz klar als unmöglich erscheinen lassen; denn kein Mensch ist in der Lage, vom Lindenhof aus auf die Schipfe in den Tod zu springen. Und am Schluss übernimmt die Jahresversammlung der Schweizer Demokraten, die der analogen Albisgüetli-Veranstaltung der SVP nachempfunden ist, aber im Hallenstadion stattfindet (man ist ja so erfolgreich…), eine zentrale Rolle. Mehr will ich hier nicht verraten.
Weilemann nimmt die vom toten Journalistenkollegen begonnene Recherche auf, stellt aber bald fest, dass dies eine sehr gefährliche Sache werden kann. Offenbar sind geheime Kräfte daran interessiert, die Aufdeckung der vermuteten Missetaten (ein Mord und die anschliessende ‚offizielle’ Vertuschung) mit allen Mitteln zu verhindern. Diese 20 Jahre zurückliegenden Ereignisse haben zunächst einen im Roman nur beiläufig angesprochenen losen Zusammenhang mit den Anfängen der Erfolgsgeschichte der Schweizer Demokraten. Natürlich bestätigt die Fortsetzung von Weilemanns Recherchen, dass es in der Tat gefährlich ist, diese Spur wieder aufzunehmen. Die vorherrschende Politik will das verhindern. Das Ende ist weder versöhnlich noch entspricht es dem üblichen Cliché des «Verbrechen lohnt sich nicht.» Die Auflösung des Plots ist immerhin überraschend, aber so, dass man die letzte Seite des Buchs eher mit einem schalen Gefühl umschlägt als mit der Befriedigung des «Jetzt verstehe ich!».
Die Verbindung, welche dieser Plot zwischen einer de facto-Diktatur der Schweizer Demokraten in der Schweiz, einer offenkundigen und blutrünstigen Kriminalität einerseits und der SVP anderseits herstellt, oder mindestens suggeriert, ist überaus plump und überhaupt nicht glaubwürdig. Sie erinnert sehr direkt an die aktuelle grassierende Trump-Verteufelung, welche neulich einen deutschen Kabarettisten veranlasst hat zu beklagen, er leide an einem Trump-Burnout. Die Schweiz kennt das schon länger und erlebt den SVP- oder Blocher-Burnout hautnah.
Abgesehen davon ist Lewinskys Roman, wenn man bereit ist, den Verstand abzuschalten, eine unterhaltsame und phasenweise spannende Lektüre; diese ermüdet und langweilt allerdings – wie bereits begründet – wegen des permanenten Publikums-beleidigenden Springens zwischen Handlungs- und Metaebene leider, je länger sie dauert, immer mehr.
Die aufgeführten Mängel des Romans werden insgesamt noch von Lewinskys abstossendem Altersbild übertroffen. Er überschlägt sich regelmässig in der Darstellung älterer oder alter Personen als schwach und nahezu debil. Und dieses grundlegend defizitäre Alter beginnt bei Lewinsky – auch am Beispiel seines ‚Helden’‘– schon kurz nach 60. Es ist nicht klar, ob dies dem tatsächlichen Altersbild Lewinskys entspricht, oder ob er dies seinen Protagonisten unterstellt, wenn er diese bei jeder Gelegenheit nicht nur handeln, sondern ihr Handeln oder ihre Unterlassungen stets auf der Metaebene mit ihren Gefühls- oder Denkmustern kommentieren lässt. Wenn er damit etwa das suggerierte SVP-‚Volk‘ blossstellen will, geht das sehr direkt in die Hosen – und es stinkt entsprechend.
Fazit: keine hohe Literatur, und kein gut konstruierter und plausibler Polit-Krimi, aber streckenweise vergnüglich und – vom unglaubwürdigen Inhalt und schrecklichen Altersbild abgesehen – spannend.