
Paul Beatty hat für seinen 2015 erschienenen Roman den National Book Critics Circle Award und den Man Booker Prize 2016 erhalten. Der Roman nimmt kraftstrotzend und sarkastisch-satirisch-zynisch die Rassensituation der USA aufs Korn.
Beatty wurde 1962 in Los Angeles geboren und studierte in Boston zunächst ‚creative writing‘ und anschliessend Psychologie; er begann seine schriftstellerische Karriere als Poetry Slammer und hatte seinen ersten Grosserfolg mit einer Anthologie über den Humor der Schwarzafrikaner (2006).
«Sellout» ist die fiktive Geschichte des Sohns eines von der US-Polizei erschossenen afroamerikanischen Rassen-Psychologen aus der LA-Vorstadt ‚Dickens‘. Diese Vorstadt ist im Zuge der regionalen Strukturbereinigung von der Landkarte verschwunden und hat sich zur Stadt mit der höchsten Verbrechensrate ‚gemausert‘, ist total verslumt und wird de facto nur noch von Schwarzen und Latinos bewohnt. Dieses ‚Dickens bringt er, zusammen mit dem berühmtesten Einwohner der Stadt, einem abgehalfterten Statisten-Schauspieler, mit subversiven und gesetzwidrigen, aber äusserst kreativen, Ideen auf die Landkarte zurück. An der lokalen High School führt er Sklaverei und Rassentrennung wieder ein – mit grossem Erfolg, denn die Schüler dieser Schule zeichnen sich sehr schnell durch Disziplin, grossen Lerneinsatz und grosser gegenseitiger Unterstützung aus; die Schule wird zur Vorzeigeschule, die es aber nicht geben darf (nach dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf). Die Geschichte endet vor dem US-Supreme Court (wobei der Ausgang des Verfahrens offenbleibt). Die Erklärung, welche Beatty für den Erfolg seiner ‚Methode’ liefert, liegt schlicht und einfach darin, dass die Schwarzen und Latinos durch die Abwesenheit von weissen oder asiatischen Konkurrenten, deren Vorbild oder ‚vorauseilender Ruf des Besserseins’ sie normalerweise lähmt und zur Untätigkeit und zum Widerstand reizt, vom Anreiz, schlechter sein zu müssen, befreit sind – und entsprechend aufblühen. Se non e vero, …
Laut ‚Man-Booker-Prize-Jury‘ ist «Sellout» ein «schockierendes und unerwartet lustiges» Porträt von Los Angeles, das einen schonungslosen Blick auf die «Rassenverhältnisse in den USA» werfe.
Damit ist auch die Hauptschwierigkeit, welche die Lektüre des Romans bereitet, angesprochen. Sie setzt eine äusserst intime Kenntnis dieser Rassenverhältnisse sowie eine grosse Vertrautheit mit den Themen (nicht nur Rassen-bezogene, sondern auch generell politische, allgemein kulturelle, sportliche, etc.), die für die gebildete US-Gesellschaft aktuell von Bedeutung sind, voraus. Ausserdem sind grosse Teile des Romans, vor allem die Dialoge, in Dialekt oder Slang geschrieben (und das erst noch vorwiegend in kalifornischem ‚Nigger‘ Slang); d.h. als Leser oder Leserin ist man häufig überfordert.
Trotzdem: die Lektüre von «Sellout» bereitet viel Vergnügen, das einem manchmal allerdings eher den Hals zuschnürt als befreit. Die Art und Weise, wie Beatty mit der politischen Korrektheit, mit dem verbreiteten Gerechtigkeitsfimmel und mit in weiten, vor allem akademisch und demokratisch geprägten Teilen der US-Gesellschaft verbreiteten und tabuisierten Grundsätzen umgeht, ist erfrischend und teilweise frappierend wirklichkeitsnah geschrieben. Man kann dabei leicht zum Schluss kommen, dass in der Gesellschaft, gerade bei äusserst schwierigen Themen, mit Humor viel mehr erreicht werden könnte als mit missionarischem Eifern und Geifern.