
Bodenheimer schreibt Kriminalromane, die im Milieu der jüdischen Gemeinde von Zürich spielen.
«Kains Opfer» ist mein erster Bodenheimer. Es ist mehr ein Buch über das Milieu der jüdischen Gemeinde von Zürich als ein Kriminalroman. Natürlich geht es im Roman darum, wer Moreh Nachum (bürgerlicher Name ‚Berger‘), ein Mitglied dieser Gemeinde und beliebter Lehrer an der jüdischen Schule, umgebracht hat. Zuerst unfreiwillig, dann aber immer mehr aus eigenem Antrieb, wird Rabbi Klein in die Klärung des Mordfalls verwickelt. Was er dabei allein aus dem Motiv heraus, seine jüdische Gemeinde vor Schaden zu bewahren, als Einzelkämpfer und Naivling kriminalistisch unternimmt, sprengt den Rahmen eines normalen Krimis erheblich. Wie er von Zürich aus und schliesslich auf einem zweitägigen Kurztrip in Israel alles recherchiert, wirkt allerdings auch sehr unglaubwürdig.
Also: den Krimi «Kains Opfer», oder – jedenfalls nach meiner vorurteilsbeladenen Einschätzung – irgendeinen anderen Bodenheimer, muss man nicht gelesen haben. Aber der Roman ist unterhaltsam und leicht zu lesen.
Es ist keine grosse Literatur; schon rein sprachlich bewegt sich Bodenheimer eher auf BLICK-Ebene als auf dem Niveau eines gängigen Krimi-Autors. Von der literarischen Konstruktion her ist der Roman sehr konventionell, linear und ohne irgendwelche Überraschungen. Der Ablauf der Recherchen, die zur Überführung des Täters führt, ist aus meiner Sicht weder zwingend noch stringent; Bodenheimer bedient sich verschiedentlich eines ‚deus ex machina‘; um aus einer Sackgasse heraus zu kommen.
Hingegen als Einführung in das Milieu der jüdischen Gemeinde von Zürich, und wohl auch als Modell für irgendeine jüdische Gemeinde in Europa, also in der Diaspora, ist «Kains Opfer» lesenswert, interessant und wohl auch lehrreich.
Angeblich enthält der Roman auch Elemente eines Schlüsselromans; diese sind aber für ein Nichtmitglied der Gemeinde weder erkennbar noch geniessbar.
Er ist eine gute Einführung in die Komplexität und Sophistikation einer Religion, der es gelungen ist, ihre Werte und Konventionen, die aus dem letzten Jahrhundert vor Christus stammen, durch die klassische Antike, das frühe Christentum, das Mittelalter, die Aufklärung und die Neuzeit hindurch zu mogeln. Diese an Wortspalterei und -klauberei grenzende haarsträubende Logik ist nötig, um den Mordfall mit Kains Opfer in Zusammenhang zu bringen. Wobei auch schon die Herleitung des Konstrukts Kains Opfer eine Meisterleistung religiöser Kasuistik oder Hegel’scher Dialektik ist, über die man lächeln oder auch staunen kann. Leserinnen und Leser mögen wählen!
Fazit:
Ein bedingt unterhaltsames Buch; genug unterhaltsam und Stoff genug für einen vierstündigen Flug von Zürich nach Tel Aviv.