On inequality (Princeton University Press, 2015)

On inequality (Princeton University Press, 2015)
Harry G. Frankfurt, 2016-09

Frankfurts Pamphlet über die Ungleichheit, beziehungsweise über die politisch-gesellschaftliche Forderung nach und moralische Rechtfertigung der Gleichheit, ist zwar kompakt, aber trotzdem nicht leicht zu lesen. Frankfurt argumentiert sehr logisch, für mich überzeugend, aber im Stil einer Vorlesung, sozusagen langsam zum Mitschreiben. 

Das Buch enthält zwei Essays:

Im ersten (Economic equality as a moral ideal) setzt er sich mit der angeblichen moralischen Überlegenheit der Gleichheit auseinander und begründet, warum die Forderung nach Gleichheit keine moralische Grundlage hat und a priori keine moralische Überlegenheit in Anspruch nehmen kann.

Im zweiten (Equality and respect) setzt er sich damit auseinander, dass die Forderung nach Gleichheit oder Gleichverteilung auch dann, wenn allfällige Kriterien für eine Ungleichverteilung den Handelnden nicht bekannt sind, keine a priori moralische Rechtfertigung hat, sondern dass die Verteilungsgerechtigkeit letztlich eine Frage des Respekts vor den unterschiedlichen Bedürfnissen verschiedener Menschen ist. Wenn keine Verteilungskriterien vorliegen, wäre eine Ungleichverteilung rein willkürlich und damit gegenüber den ‚Empfängern‘ respektlos. Anders gesagt: Der Respekt gebietet Ungleichbehandlung, oder das Eingehen auf spezifische Bedürfnisse der ‚Empfänger‘, wenn Kriterien für die ‚Verteilungsgerechtigkeit‘ bekannt sind, und er gebietet Gleichbehandlung, wenn Verteilungskriterien nicht bekannt sind.

Economic equality as a moral ideal (erster Essay)

Frankfurts Argumentation gegen ‚egalitarianism‘ hat folgende Dimensionen:

  1. Er sieht einen entscheidenden qualitativen Unterschied zwischen der Feststellung, dass nicht alle gleich viel haben, und der Feststellung, dass einige nicht genug haben. Für ihn ist das Problem nicht, dass einige sehr viel und viele viel weniger haben, sondern dass einige zu wenig haben. Er entwickelt dazu eine Theorie der ‚sufficiency‘; diese geht weit über ökonomische oder monetäre Gesichtspunkte hinaus; ‚sufficient‘ oder genug heisst für ihn nicht, gerade genug zu haben, um zu überleben oder gerade davon zu kommen (ist also nicht mit Existenzminimum zu verwechseln); unter sufficiencyversteht er einen Zustand, mit dem Menschen zufrieden leben können, weil sie diejenigen Bedürfnisse, die ihnen persönlich wichtig sind, befriedigen können. In diesem Sinn postuliert Frankfurt, dass es wichtig ist, dass alle mindestens genug für ein zufriedenes Leben haben; die Forderung nach Gleichheit (der Verteilung der materiellen Güter) hält er konsequenterweise für irrelevant und falsch.
  2. Theorie der Gleichheit (egalitarianism):
    Die Theorie beruht hauptsächlich darauf, dass bei einer Umverteilung von den Vielhabenden zu den Wenighabenden der Nutzen für alle steigt. Dies impliziert, dass der Grenznutzen von ‚mehr Geld‘ für alle gleich ist. Frankfurt widerlegt diese Annahme mit folgendem Hinweis: für die Vielhabenden hat jeder zusätzliche Franken einen abnehmenden, für die Wenighabenden jedoch einen viel höheren Grenznutzen. Ein gleiches ‚mehr‘ hat sowohl für verschiedene Menschen einen völlig unterschiedlichen Wert, als auch individuell, denn auch für ein und denselben Menschen hat ein Mehr oder Weniger (in unterschiedlichen Lebenssituationen) einen völlig unterschiedlichen Wert.
  3. Frankfurt erwähnt beinahe beiläufig, dass der egalitarianism und insbesondere seine Durchsetzung gleichbedeutend mit der Abschaffung der Freiheit ist. Das ist für ihn so offensichtlich falsch und gesellschaftlich unerwünscht, dass er nicht näher darauf eingeht.
    Sein Haupteinwand gegen den egalitarianism besteht darin, dass dieser auf ständigem Vergleichen mit anderen besteht, dass die Gleichheit oder das Streben danach somit eine extrinsische Lebensorientierung erzeugen. Für Frankfurt steht im Zentrum, dass sich jeder Mensch in erster Linie Klarheit darüber verschaffen müsste, was seine persönlichen Bedürfnisse sind, wie er sein eigenes Leben gestalten möchte, was er selber benötigt, um mit seinem Leben zufrieden sein zu können. Sofern er das erreicht, d.h. sofern er dafür genug hat (suffizient), kann und darf er zufrieden sein. Dann kann und soll es ihm gleich sein, ob andere mehr oder weniger haben als er – das alles sollte für ihn irrelevant sein.
    Das Hauptübel am egalitarianism besteht deshalb für Frankfurt darin, dass er die Menschen davon ablenkt, sich auf das für sie individuell Wichtige im Leben zu konzentrieren. 
  4. Weil der egalitarianism sich primär oder ausschliesslich mit der (gleichen oder angeblich gerechten) Verteilung monetärer, materieller oder ökonomischer Güter befasst, erwähnt Frankfurt fast nur am Rande, dass das Wohl, das Glück oder die Zufriedenheit der meisten Menschen nicht nur davon, sondern häufig viel mehr von immateriellen Gütern abhängig ist. Er begnügt sich jedoch mit dem Hinweis, dass eine Beurteilung, ob ein Mensch von diesen Gütern genug für ein zufriedenes Leben hat, sehr schwierig ist und ausserhalb des Rahmens seines Essays liegt.
    Immerhin: Er weist darauf hin (allerdings ohne dies zu belegen), dass bei viele Menschen, deren Lebenssituation mit mehr Geld kaum verbessert werden könnte, die Ursachen der Unzufriedenheit bei nichtökonomischen Gütern zu suchen sind, z.B. in der Liebe; einem Gefühl, dass ihrem Leben ein Sinn fehlt; beim eigenen Charakter; etc.; das seien eben Güter, die man mit Geld nicht kaufen könne, und Güter, für die keines der Dinge, die man kaufen könne, ein nur annähernder Ersatz sein könnte. Das klingt sehr nach der alten Volksweisheit «Geld allein macht nicht glücklich.» (wobei auch der Zusatz «… Es braucht auch noch Aktien, Gold, Immobilien …» nicht weiterhelfen würde). 
  5. Die auch von Frankfurt als schwierig anerkannte Frage: «Woran erkennt man, dass einer genug hat, dass er mit seinem Leben zufrieden ist?» gibt er die zwar einfache, aber letztlich doch überzeugende Antwort: «Wenn er keine Anstrengungen mehr unternimmt, wenn er keinen Antrieb dazu hat, mehr zu erreichen.»

Equality and respect (zweiter Essay)

Im zweiten Essay beschäftigt sich Frankfurt nochmals mit seiner These, dass Gleichheit an sich keinen moralischen Wert habe. Er anerkennt zwar, dass für die meisten Menschen die Situation, dass einige sehr viel und viele sehr wenig haben, dass die (materiellen) Güter sehr ungleich verteilt sind, intuitiv als ungerecht beurteilt wird. Er sieht aber darin – meiner Ansicht fast zu wohlwollend – keine Rechtfertigung der moralischen Überlegenheit der Gleichheit, sondern er vermutet, dass die meisten Menschen den Unterschied zwischen wenig, weniger, etc., und zu wenig nicht kennen oder nicht auf die Verteilung von Gütern anwenden. Die intuitiv deklarierte Ungerechtigkeit würde dann also nicht darin bestehen, dass einige Menschen weniger haben als andere, sondern darin, dass sie zu wenig haben. 

Für Frankfurt ist das wichtigste Kriterium für die Beurteilung der Verteilung von Gütern der Respekt. Dabei geht er davon aus, dass die Menschen unterschiedliche Bedürfnisse, unterschiedliche Vorstellungen von einem guten Leben, unterschiedliche Ziele, etc. haben. Auf dieser Grundlage postuliert er, dass Gleiches gleich, und Ungleiches ungleich zu behandeln ist – und zwar aus Respekt vor der Unterschiedlichkeit der Menschen. Gleichheit der Behandlung könnte nur dann geboten sein, wenn die Unterschiedlichkeit der Menschen den Handelnden nicht bekannt wäre – aber auch dann aus Respekt, und nicht weil die Gleichheit der Behandlung a priori oder aus sich selbst heraus moralisch geboten wäre. Bei Unkenntnis allfälliger Ungleichheiten gebietet der Respekt, und gerade nicht der angebliche moralische Imperativ der Gleichheit, eine Gleichbehandlung, weil jede Ungleichbehandlung willkürlich und respektlos wäre.

Er verwendet dabei das Beispiel der Verteilung eines Kuchens an 10 Personen, die dem Verteilenden völlig unbekannt sind; dabei ist es für Frankfurt selbstverständlich, dass nur eine gleichmässige Aufteilung des Kuchens in Frage kommt; alles andere wäre willkürlich und damit respektlos. 

Allerdings könnte man das Beispiel (das ist meine persönliche Anmerkung) auch anders deuten. Da man davon ausgehen kann, dass auch diese 10 unbekannten Personen unterschiedliche Bedürfnisse haben, könnte man sie bei der Verteilung ja auch fragen, wie viel vom Kuchen sie haben möchten. Dabei würde man herausfinden, dass die gewichtsbewusste Mutter der beiden dreijährigen Zwillinge für diese nur kleine Stücke haben möchte, für sich gar keines, dass eine Person keinen Kuchen will, weil sie kein Gluten verträgt, eine andere, weil sie eine Laktoseresistenz hat, vier möchten je 1/10-Stück, und der einzige Übergewichtige möchte alles, was übrigbleibt. 

Fazit:

Ein sehr lesenswertes Pamphlet, das bei aller Kürze immer noch einige Redundanzen enthält und eher spröde zu lesen ist. Eigentlich sollte man stets einen Vorrat dieses Büchleins bei sich tragen, um es bei jeder Diskussion über Verteilungsgerechtigkeit allen Beteiligten abzugeben, mit der Auflage, es zu lesen, bevor die Diskussion beginnen kann.

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