Schönsprech – Wie uns Politik und Lobby das Blaue vom Himmel erzählen

Schönsprech – Wie uns Politik und Lobby das Blaue vom Himmel erzählen
Reinhard Schlüter, 2015-14

Die Stichwortsammlung, erschienen 2015, passt wunderbar in diese Zeit der extremen politischen Korrektheit, der Ausgrenzung jeglicher Haltung, die Kritik am grassierenden Gerechtigkeits- und Gleichheitsfimmel wagt, die Skepsis an der willkommenskulturellen Begeisterung für Flüchtlinge äussert, oder die nicht reflexartig alles für Gut und Erstrebenswert hält, das vom linken und grünen Mainstream gefordert wird.

Es ist eine Art Lexikon, das die gängigen (jedenfalls in Deutschland) Floskeln des Schönredens zusammenstellt. Die Sammlung der sprachlichen Verdrehungen und Perversionen ist nach Vorwort und Einleitung in folgende Kapitel gegliedert:

  • Grundrechtsschonend handlungsfähig! – Die Schwammsprache der Politik
  • Mit Schwimmwesten unter dem Rettungsschirm – Krisennebel ohne Ende
  • Vom Extremnutzer zum Intensivtäter – Der Bürokrat als Sprachschöpfer
  • Sozial ausgewogene Massnahmenpakete – Woran wir uns längst gewöhnt haben
  • Mit verschärften Verhörmethoden zum verbalen Küstenschutz – Euphemismen in aller Welt

Innerhalb der Kapitel sind die besprochenen Stichworte oder Ausdrücke mehrheitlich – leider nicht vollständig systematisch – alphabetisch geordnet. Der Anhang enthält ein hilfreiches Verzeichnis der Stichwörter sowie ein Literaturverzeichnis.

Aus den Titeln ergibt sich, dass die Abgrenzung der einzelnen Kategorien nicht sehr trennscharf sein kann. Das stiftet zwar eine gewisse (Schein-)Ordnung, erschwert aber das Nachschlagen und Auffinden bestimmter Ausdrücke; das Stichwortverzeichnis hilft zwar, zeigt aber auch, wie schön und nützlich es wäre, wenn die Sammlung elektronisch mit Suchfunktion oder Hypertext-Features verfügbar wäre.

Die Erläuterungen zu den aufgenommenen Stichworten oder Ausdrücken sind manchmal eher brav und bieder; offenbar ist auch dem Autor der Schreck vor der Ausgrenzung bereits ein wenig in die Glieder gefahren.

Anderseits verstossen einige Kommentare des Autors klar gegen den selbst gegebenen Auftrag, aufzuzeigen, mit welchen Sprachtricks Sachverhalte vernebelt, ins Gegenteil verkehrt, schöngeredet oder tiefgestapelt werden; er verwechselt nämlich immer wieder Sprachkritik mit Systemkritik, indem er Begriffe oder Ausdrücke nicht als Tricks oder Nebelwerfer entlarvt, sondern die Zustände oder anvisierten Sollzustände an sich kritisiert.

  • Besonders offensichtliche Beispiele dafür sind die Abschnitte über Pragmatismus (Seite 61) oder Reformeifer/Reformpolitik (Seite 64-65). Er kritisiert dabei auch deutsche Politiker, weil sie andere EU-Länder für deren Reformeifer oder Sparpolitik loben; der Vorwurf, das sei lehrmeisterlich und anmassend, ist völlig verfehlt, weil es sich beim angesprochenen Reformeifer nämlich um ein gemeinsames Ziel, die Rettung des Euro handelt. Deutschland, als grösster Financier der Eurorettung, hat sehr wohl das Recht – wenn nicht die Pflicht –, andere Euro-Länder auf die gemeinsamen Verpflichtungen hinzuweisen oder deren Einhaltung einzufordern.
  • Er verwendet übrigens dabei den Begriff Sparpolitik in einem Sinn, der offensichtlich selbst in die Trickkiste der Nebelwerfer gehört. Es ist jedenfalls nicht einzusehen, weshalb Sparpolitik, wo es letztlich nur darum geht, auf Dauer nicht mehr auszugeben als einzunehmen, des Teufels sein soll. Anstatt im Zusammenhang mit der Euro-Rettung über Sparpolitik zu klagen, wäre es wohl viel aufklärerischer, bei der Euro-Rettung tatsächliche und immer wiederkehrende Nebelpetarden zu enttarnen.
  • Die ganze Euro-Rettung hätte wesentlich bessere und offensichtlichere Beispiele liefern können, in denen eine sprachliche Vernebelung mit Leichtigkeit nachgewiesen werden könnte.
  • Bei solchen Themen (Systemkritik anstelle von Sprachsprachkritik) wird deutlich, dass Schlüter ein in der Wolle eingefärbter Linker ist und nichts davon hält, Staatsgläubigkeit durch Eigenverantwortung zu ersetzen.

Der Autor differenziert ebenfalls kaum zwischen Schönreden im Sinne von Vernebeln – im Kern Thema und Anspruch des Buchs – und reiner Schaumschlägerei. Dass er bei konkreten Beispielen am häufigsten Merkel zitiert, gehört wohl zum Mainstream der deutschen Kabarett-, Medien- und linken Politszene. Natürlich: Merkels Sprache drängt sich geradezu auf zur Blossstelllung als Schaumschlägerei, aber letztlich gehört das eben grundsätzlich zum politischen Geschäft aller Parteien, und aller Länder.

Fazit: Dieses Buch muss/kann nicht vollständig von Anfang bis Ende – oder umgekehrt – gelesen werden. Es ist anregend bis ärgerlich, eine beliebige Seite aufzuschlagen und ein wenig weiter zu schmökern, und dann das Buch wieder auf die Seite zu legen. Man bekommt immer wieder starke, manchmal abstossende Eindrücke von der politisch-gesellschaftlichen und bürokratischen Mainstream-Mentalität Deutschlands; häufig geht es bei den behandelten Stichworten nicht um die Vernebelung, sondern um Sachverhalte, die dem Autor, beziehungsweise dem deutschen Mainstream nicht genehm sind. Im Übrigen ist es als Nachschlagewerk durchaus nützlich – allerdings mit Einschränkungen. Denn die Aufteilung der Stichwörter in die von den Titeln her keineswegs eindeutigen Kapitel ‚Grundrechtsschonend handlungsfähig‘, ‚Mit Schwimmwesten unter den Rettungsschirm‘, ‚Vom Extremnutzer zum Intensivtäter‘, ‚Sozial ausgewogene Massnahmenpakete‘ und ‚Mit verschärften Verhörmethoden‘ ist nicht hilfreich, sondern willkürlich, nicht scharf genug abgrenzend und letztlich nur eine Tarnkappe für viel, viel Redundanz.

Im Übrigen ist es besonders ärgerlich, weil Schlüter ungefähr jedes Cliché des deutschen Gutmenschentums und der von der absoluten Richtigkeit und Allgemeingültigkeit der eigenen Ansichten überzeugten Moralisten genussvoll und mit der gebotenen Besserwisserei wiederkäut. Es strotzt von Merkel-Bashing, USA-Bashing, Banken-Bashing, etc.; reich ist bös, arm ist zwar nicht gut, aber immerhin das Ergebnis der Unterdrückung und Ausbeutung durch Reiche; Staat ist gut, Eigenverantwortung ein Synonym für Sozialabbau und Beraubung der Armen; you name it – you’ll get it.

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